Wort zum Sonntag
Seit 2014 leitet Sr. Juliana Baldinger NDS in En Kerem am Stadtrand von Jerusalem das Noviziat ihrer Ordensgemeinschaft, den Sionsschwestern.
Zur aktuellen Situation sagt sie: „Wir sind geschockt wie alle und leben in Unsicherheit.“ Zur Zeit betreut Sr. Juliana zwei Novizinnen und ist dankbar für ihre kleine Gemeinschaft in En Kerem, in der die Schwestern einander Halt geben. In den vergangenen zehn Jahren hat Sr. Juliana – sie stammt aus Meggenhofen – bereits 15 junge Frauen in das Ordensleben eingeführt.
Um die Situation für sich zu verarbeiten, führt Sr. Juliana Tagebuch. Sie hält fest, dass sie in den Jahren, in denen sie im Land lebt, schon mehrmals Eskalationen der Gewalt erlebt hat, aber nun herrscht Krieg: „Wie ich sehe und fühle: Krieg – das ist ein Unterschied.“ Sie notiert auch kurze Passagen aus dem Alten und Neuen Testament und dem Koran. Viele Fragezeichen finden sich in ihren Notizen. Sie treibt natürlich auch die Frage um, wie die „Schwestern unserer Lieben Frau von Sion“ ihren dreifachen Ordensauftrag leben können, der vom Engagement für die Kirche, für das jüdische Volk und für eine Welt der Gerechtigkeit bestimmt ist.
Sr. Hildegard Enzenhofer SDS lebt seit 2002 im Dorf Beit Emmaus, Qubeibeh, im palästinensischen Westjordanland, fünfzehn Kilometer Luftlinie von Jerusalem entfernt. Sie leitet dort ein Alten- und Pflegeheim für vierzig palästinensische Frauen und gründete auf demselben Gelände 2007 eine Fakultät für Pflege.
Sr. Hildegard hat in den mehr als zwanzig Jahren im Land schon viel an Gewalt erlebt: „Ich bin ein alter Hase und ich fürchte mich nicht. Das nützt nämlich nichts. Aber die Raketen aus Gaza, die man über sich fliegen sieht oder hört – dann hält man die Luft an und hofft.“ Die Raketen sind auf jüdische Siedlungen gerichtet, aber palästinensische und jüdische Siedlungen liegen nahe beisammen. „Das ist wie Hinterweißenbach und Vorderweißenbach“, sagt die Mühlviertlerin.
Auf jeden Fall kommt es immer wieder zu erschreckend nahen Einschlägen. Gott sei Dank wurde Beit Emmaus bislang nicht getroffen, aber sicher ist man in dieser Gegend nirgendwo. Bunker gibt es keinen. Man könnte auch die vierzig pflegebedürftigen Frauen gar nicht in der nötigen Eile dorthin transportieren. Bleibt also nur die Hoffnung, nicht getroffen zu werden. Die aktuelle Situation bedeutet auch, dass Sr. Hildegard nicht nach Jerusalem gelangen kann. Die Checkpoints sind geschlossen. Die Lebensmittel vor Ort werden teurer und weniger. So nimmt Sr. Hildegard die Bewältigung des Alltags mit seinen Unabwägbarkeiten ganz in Beschlag.
Die gesamte Lage ist so angespannt, dass sie das von einer Mauer umgebene Gelände ihrer Einrichtungen derzeit nicht verlässt. Auf Sicht macht ihr die Versorgung des Altenheims mit Pflegeprodukten Sorge, die es nur in der Stadt Jerusalem gibt.
Fragt man Sr. Hildegard, wie lange diese katastrophale Situation dauern wird, antwortet sie: „Ich weiß es nicht. Ich kann nur Premierminister Netanjahu zitieren, der gesagt hat: lange.“
Die Kreuzschwester lebte zwei Jahrzehnte in Jerusalem und arbeitete dort lange im Österreichischen Hospiz, wo sie als Vizerektorin Stellvertreterin von Rektor Markus Bugnyár war. Seit 2019 ist Sr. Bernadette wieder in Linz, blieb dem Heiligen Land und den Menschen aber sehr verbunden.
Warum, weiß sie nicht, aber ihr Handy ist noch immer mit einem israelischen Warndienst verbunden. So erfuhr sie vom Eindringen der Hamas nach Israel über ein SMS aus Israel. Daraufhin ist sie sofort an den Computer gegangen und verfolgt seither alle Nachrichten aus Israel, alles, was sie an Informationen erhalten kann. Mit dem Herzen ist sie stets in Jerusalem und bei den Menschen, die sie kennt.
Sie hat die Intifada ab dem Jahr 2000 aus unmittelbarer Nähe miterlebt, mit unzähligen Anschlägen und Todesopfern: „Aber so brutal und schlimm wie jetzt war es noch nie.“ Ihre große Angst, die sie mit vielen Menschen teilt, ist natürlich, dass sich der Konflikt noch ausweitet.
Markus Stephanphan Bugnyár ist Rektor des Österreichischen Hospizes in der Altstadt von Jerusalem.
Er erlebt die Stimmung wegen der noch nicht begonnenen Bodenoffensive als äußerst angespannt: „Nur wenn es losgeht, wird sich zeigen, was Israel plant und erreichen will. Erst dann kann man sich eine Vorstellung machen, wie lange das dauern kann. Die Unsicherheit ist der Nährboden für viele Gerüchte.“
Inzwischen ist das Hospiz bis auf zwei Gäste leer, sechs von acht Zivildienern haben in der Vorwoche Israel freiwillig verlassen, zwei sind freiwillig geblieben (Stand 13. Oktober). Dass täglich Stornierungen von Reisegruppen kommen, versteht sich von selbst. Die Hälfte der Buchungen bis Weihnachten ist bereits storniert, der Rest wird – so die realistische Befürchtung – noch folgen.
In den vergangenen Monaten hat sich auch für den 48-jährigen Markus Bugnyár die Frage nach einer weiteren fünfjährigen Verlängerung seines Dienstvertrags als Rektor des Hospizes gestellt. Er steht dem Haus seit Mai 2004 vor. „Gerade die Ausnahmesituation der letzten Woche hat mir gezeigt, wie sehr ich mich hier beheimatet und mit der Stadt und dem Land verbunden fühle.“
All das hat ihn in seiner bereits vor der Eskalation getroffenen Entscheidung, bleiben zu wollen, bestärkt. (Die Bestätigung der Bischofskonferenz steht noch aus.) „Jerusalem ist ein Stück Heimat. Das hängt mit Menschen hier zusammen, bei denen ich mich zu Hause fühle. Und als Christ sind auch die heiligen Stätten für mich Heimat, wo ich mich geborgen weiß.“
"Ich war noch nie Blut spenden. Nach den Massakern am jüdischen Fest der Torahfreude von Simchat Torah bin ich gegangen. Das lange dreistündige Schlangestehen mit Israelis aller Couleur hat mich bewegt. Der gemeinsame, stille, unausgesprochene Wille, irgendetwas zu tun, und wenn nur es nur das ist, ein bisschen vom eigenen Blut abzugeben. Trotzdem überwiegen das Gefühl der Hilflosigkeit und das Schaudern vor der entfesselten Brutalität, zu der Menschen fähig sind.
Ich lebe im Krieg. Zwar bin ich, da ich im palästinensischen Ostjerusalem lebe, vor Raketen und Hamas-Attacken (noch) sicher. Trotzdem ist alles anders. Die Straßen sind leerer, viele Geschäfte bleiben geschlossen, auch in meiner arabischen Nachbarschaft haben die sonst randvoll gefüllten Obst und Gemüseläden leere Regale wegen der Hamsterkäufe.
Ich bin kein Israeli und ich bin kein Palästinenser, trotzdem habe ich mich entschlossen, jetzt hier zu bleiben. Ich lebe gern hier in den guten Tagen und kann nicht einfach gehen, wenn es schwierig ist. Das können die Menschen hier auch nicht – in diesem heilig-unheiligen Land. Ein winziges Zeichen der Solidarität mit meinen muslimischen, jüdischen und christlichen Mitbewohnern dieser wunderbaren und so gepeinigten Stadt.
Die Aussicht auf Frieden, auf Versöhnung ist seit letztem Samstag utopischer als je zuvor. Die Spaltung wird sich vertiefen, der Hass wird sich steigern. Ich weine mit den israelischen Opfern des pogromartigen Grauens vom 7. Oktober und auch mit den zivilen Opfern in Gaza, die jetzt den Preis für den Wahnsinn der Hamas-Terroristen zahlen müssen. Nicht alle Palästinenser sind Sympathisanten dieser kalten Fanatiker.
„Ich weiß, meine Worte ändern nichts und bedeuten wenig, aber es tut mir so unglaublich leid, was mein Volk eurem Volk antut“, schreibt ein junger Muslim aus Gaza an eine befreundete Israelin. Sie stellt den Gruß ins Internet. Ich klammere mich an diese kleinen, kostbaren Zeichen verbindender Menschlichkeit und bitte Gott, dass er die Besonnenen stärke, die Grausamen schwäche und dass die Hoffnung auf Frieden in mir nie erlischt. Trotz allem, trotz allem."
Stephan Wahl ist Priester aus Trier und lebt in Jerusalem.
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