Wort zum Sonntag
An diesem Tag hatte sich die Wehrmacht aus Obernberg am Inn zurückgezogen und die US-Armee rückte ein. Die Gemeindevertretung im benachbarten Reichersberg ließ daraufhin weiße Fahnen hissen, um die Kapitulation anzuzeigen und Menschenleben zu schützen. Gegen 19 Uhr desselben Tages rückte eine Staffel des Volkssturms, das letzte Aufgebot des NS-Staates, in Reichersberg ein und verlangte das Abnehmen der Fahnen.
Im Wohnhaus Reichersberg Nr. 100 war zu diesem Zeitpunkt zufällig der aus Mehrnbach stammende 46-jährige Reichersberger Chorherr Rupert Haginger bei den Hausbesitzerinnen, den vier Schwestern Lauß, zugegen, als zwei Volkssturmmänner ins Haus eindrangen und die Abnahme der Fahne verlangten. Chorherr Haginger erwiderte: „Warum?“ Er verwies auf die Anordnung der Gemeinde. Daraufhin wurde er geschlagen und erschossen. Als eine der Schwestern, die 51-jährige Theresia Lauß, auf den Dachboden eilen wollte, um die Fahne abzunehmen, wurde auch sie erschossen. Hagingers herbeigerufener Mitbruder Herr Ambros spendete ihm und Theresia Lauß die Sterbesakramente.
Der Mord an den beiden Reichersbergern war ein sogenanntes Endphaseverbrechen: Diese wurden von Nazis begangen, als der Zusammenbruch unausweichlich war. Tatsächlich rückten bereits am Tag nach dem Mord die Amerikaner in Reichersberg ein. Das Abhängen der weißen Fahne hatte darauf keinerlei Auswirkung, der Mord war aus reinem Fanatismus begangen worden. Diesen hatte in Oberösterreich insbesondere Gauleiter August Eigruber angefacht, der bekannt machen ließ: „Wer die weiße Fahne hisst und feige kapituliert, wird standrechtlich erschossen.“
Eigruber wurde 1946 wegen im KZ Mauthausen verübter Verbrechen zum Tode verurteilt und 1947 gehängt. Wegen des Mordes in Reichersberg wurde niemand bestraft: Ein 1948 wegen der Tat angeklagter Volkssturmmann gab an, sein Begleiter habe die Schüsse abgefeuert. Dieser hatte sich im Mai 1945 selbst getötet. Dessen Tochter sagte vor Gericht aus, ihr Vater habe ihr die Tat gestanden. Auch ein verhörter Volkssturmmann sagte, der tote zweite Mann habe erzählt, er habe Schüsse abgegeben. Die Schwestern der Theresia Lauß beharrten dagegen darauf, dass der Angeklagte der Täter sei. Das Gericht entschied sich dennoch dazu, dem Hörensagen mehr zu trauen als ihnen. Deshalb wurde der Angeklagte nur wegen Misshandlung und wegen illegaler NS-Betätigung vor 1938 verurteilt.
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