Mira Stare ist promovierte Bibelwissenschaftlerin an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Innsbruck und Pfarrkuratorin.
Frau Klasnic, Sie setzen sich seit 15 Jahren für Betroffene von Gewalt im kirchlichen Bereich ein, haben erschütternde Berichte dazu veröffentlicht. Wie haben Sie es geschafft, bei all den Grauslichkeiten nicht zu verzweifeln?
Waltraud Klasnic: Ich glaube, das kann man gar nicht schaffen, aber man ist nicht allein. Es ist uns gelungen, eine sehr kompetente Kommission zusammenzustellen. Die ersten drei Jahre waren massiv, da sind die meisten Vorfälle gemeldet worden, vor allem ganz schwere. Wenn ich das Gefühl hatte, ich muss mit jemandem reden, habe ich das mit Mitgliedern der Kommission oder mit dem Koordinator Herwig Hösele getan, nicht zuhause. Es hat mich dann schon erwischt. Nach etwa drei Jahren habe ich einen mir bekannten Psychiater angerufen und gesagt, ich brauche Hilfe. Seine Antwort: Wann immer Sie mich brauchen, bin ich da. Seitdem habe ich ihn nicht gebraucht. Aber das Gefühl, dass jemand da wäre, hat mir sehr gutgetan.
Für die Leitung der bekannten „Klasnic-Kommission“ haben Sie internationale Anerkennung erhalten. Und Kritik: Dass man die Opfer unterstützt, aber die Täter nicht ausreichend zur Verantwortung zieht. Was hätte besser laufen können?
Klasnic: Wir sprechen nicht von Opfern, sondern von Betroffenen. Und nicht von Tätern, sondern von Beschuldigten. Wir sind kein Gericht, sondern eine zivilgesellschaftliche Gruppe. Wer will außerdem als „Opfer“ bezeichnet werden? Das ist ein stigmatisierender Begriff. Und was die Beschuldigten betrifft: Ich fühle mich ausschließlich für die Betroffenen verantwortlich und stehe an ihrer Seite.
Der Begriff „Opfer“ steckt aber in „Opferschutzkommission“.
Klasnic: Als wir 2010 begonnen haben, musste es schnell gehen. Der Schutz der Opfer war das wichtigste Anliegen. Erst im Lauf der Zeit haben wir die Begriffe reflektiert. Ebenso wie das Wort „Missbrauch“, das umstritten ist. Es ist aber in diesem Zusammenhang der gebräuchliche Begriff. Man versteht ihn.
Es gibt, etwa von Ordensgemeinschaften, die Ansicht, dass die Kommission manchmal leichtfertig Unterstützung zuspricht, die eine Ordensgemeinschaft oder Diözese dann zahlen muss. Gibt es Trittbrettfahrer:innen?
Klasnic: Ich lege Wert darauf: Lieber eine Zahlung zu viel zugesagt als eine zu wenig. Dass jemand keine Freude hat, wenn er zahlen muss, verstehe ich. Das ist so im Leben. Wenn ich ein Erbe antrete, übernehme ich auch die unangenehmen Dinge. Ich muss aber sagen, dass ich in all den Jahren kein einziges Mal eine Intervention von kirchlicher Seite hatte, dass jemand gesagt hätte, das geht so nicht. Und noch etwas ist mir wichtig zu sagen: Es ist nie aus und vorbei, und das wird es auch nicht sein. Verjährung gibt es bei uns nicht.
Nicht nur die Opferschutzkommission hat ein Jubiläum, auch Ihr 80. Geburtstag steht vor der Tür. Was macht Sie so lebendig?
Klasnic: Neugierde. Und der Wille, etwas zu tun. Seit 2001 ist es in österreichischen Krankenhäusern möglich, ein Kind anonym zur Welt zu bringen. Und seit 2022 wird der Ausbau der Hospizbetreuung in Österreich von Bund, Ländern und Sozialversicherungen bezahlt. An beiden Gesetzen war ich beteiligt, dafür hat sich jede Mühe gelohnt. Aber niemand macht etwas allein. Man muss auch fragen und Bitte sagen können.
Kardinal Schönborn hatte Sie als Opferschutzanwältin angefragt. Vor wenigen Tagen wurde sein Nachfolger ernannt. Kennen Sie Josef Grünwidl?
Klasnic: Ich habe ihn im Sommer kennengelernt und hatte unlängst wieder ein sehr gutes Gespräch mit ihm. Ich freue mich wirklich über diese Entscheidung. Er hat einen offenen Zugang, gibt pfiffige Antworten. Übrigens war er 1995 bis 1998 Schönborns Sekretär – das waren schwierige Jahre mit der „Affäre Groër“. Möglicherweise ist Grünwidl auch deshalb zunächst vor dem Amt zurückgeschreckt. Nun kann sich Kardinal Schönborn zurückziehen, ich ziehe mich aus der Kommission zurück, es gibt ein neues Gespann, und es wird gut weitergehen.
Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag und Danke für das Gespräch!
Mira Stare ist promovierte Bibelwissenschaftlerin an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Innsbruck und Pfarrkuratorin.
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