Wort zum Sonntag
Alles muss heute ein Ziel, einen Zweck haben. Vieles passiert auch aus einer Erwartungshaltung heraus – oder gar aus Berechnung. Die Berge dagegen erlauben einen absichtslosen Blick auf die Welt und das eigene Leben.
Auf dem Berg nehmen wir Abstand vom Alltag. Auf dem Berg gewinnen wir einen Überblick, es zeigt sich das Profil einer Landschaft. Diesen Abstand braucht es für eine gute und klare Selbsterkenntnis. Es wäre naiv zu meinen, in uns selbst nur paradiesische Landschaften, nicht aber den inneren Schweinehund zu sehen. Die Kartographie der Biographie zeigt ja nicht bloß blühende Gärten, sondern auch karges Land, unbesiedelte Gebiete, Enttäuschung, Aggression und Angst. Wenn wir von unserem Alltag zurücktreten, gewinnen wir Horizonte, die sonst eben verschwimmen. Meist sind wir mit der Nase zu nahe dran. Die alltägliche Programmierung ist auf den Vordergrund und auf das Oberflächliche, das Design gerichtet.
Das Denken in Kategorien des Nützlichen, Praktischen, Sensationellen, Aufdringlichen, Vorteilhaften und Bequemen nimmt so selbstverständlich in Beschlag, dass wir andere Dimensionen vergessen. Beim Bergsteigen lebt die Sehnsucht: „Mensch, du brauchst Horizonte. Du musst hie und da die Optik deines Geistes und deines Herzens drehen bis zu dem Ort der Skala des Apparates, wo der liegende Achter ‚unendlich’ anzeigt. Und du wirst sehen – es lebt sich viel besser, wenn man bis dorthin schaut, wo der Himmel die Erde berührt.“ (Reinhold Stecher)
Beim Bergsteigen als Zurücktreten und als Aussicht relativiert sich manches, die Wertigkeiten werden anders gewichtet, das Leben mit den Prioritäten ordnet sich neu. Das Heraustreten aus den Feldern des Alltags und der Gewohnheit ist keineswegs eine Flucht vor dem Leben, sondern birgt den Mut, es neu orientiert anzugehen.
Ohne Gang zu den Quellen verkarstet das Leben, brennt es aus, wird es oberflächlich, banal und leer. Es braucht Räume und Zeiten der absichtslosen Kontemplation, die sich der Zweckrationalität, dem Leistungsdruck, der Bemächtigung, auch der Verdinglichung und Instrumentalisierung entzieht, in der nichts erreicht werden muss. Die Berge geben jenseits aller wirtschaftlichen Verwertung zuallererst ein zweckfreies Zeugnis für den zweckfreien Gott, denn angesichts der Frage nach einer „Relevanz“ im Sinne ökonomischer, politischer und sozialer Zwecke, hat Gott keinen Zweck. Bergsteigen ist Entgiftung und auch Entschleunigung. Im Bergsteigen kann ich Distanz zu Verkrampfungen finden, Aggressionen in den Boden stampfen, mir Probleme vom Leibe schwitzen, Verstopfungen auflösen, die eigene Trägheit überwinden. „Aber das ist es ja: Der biologisch unterforderte Mensch arrangiert freiwillig, künstlich und absichtlich Notwendigkeiten höherer Art, indem er aus freien Stücken von sich etwas fordert, sich etwas versagt, auf etwas verzichtet. Inmitten des Wohlstandes sorgt er für Situationen des Notstandes; mitten in einer Überflussgesellschaft beginnt er sozusagen Inseln der Askese aufzuschütten – und genau darin sehe ich die Funktion, um nicht zu sagen die Mission, des Sports im Allgemeinen und des Alpinismus im Besonderen: Sie sind die moderne, die säkulare Form der Askese.“ (Viktor E. Frankl)
Dem Himmel nahe
Die Spiritualität der Berge
Teil 3 von 4
von Bischof Manfred Scheuer, Linz
Wort zum Sonntag
Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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