Wort zum Sonntag
Eigentlich war es keine Frage, sondern ein Aufruf. Direkt aus den sogenannten „sozialen Medien“. Wer nicht ans Christkind glaubt, soll raus aus Österreich.
Es wird wohl ziemlich leer werden, wenn wir dies ernst nehmen wollen. Laut Umfragen vom Frühjahr 2024 glauben gerade einmal 22 % der Österreicher:innen an Gott. Wie viele davon glauben wohl daran, dass Gott in dem Kind zu Bethlehem Mensch geworden ist?
Im Großen Glaubensbekenntnis bezeugen Christ:innen über Jesus, den Christus: „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater, durch ihn ist alles geschaffen. Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden.“ Den dogmatischen Glaubens-Check in puncto „Christkind“ würden selbst von den 22 % nur wenige bestehen.
Weihnachten offenbart uns in diesem Jahr, wie sehr die Gotteskrise eine Krise der Menschlichkeit ist. Das Neugeborene in der Krippe zur Vertreibung des Nächsten einzusetzen, ist eine der tiefsten Perversionen christlichen Glaubens. Wo Gott tot ist, macht ihn der Mensch zur Waffe.
Auch Kirche und Theologie tragen hier Mitschuld. Wie können wir die so fremd erscheinenden Glaubensformeln heute verstehen? Sie übersetzen und zugleich ihre Tiefe bewahren?
Vielleicht kann gerade einer helfen, der „nicht ans Christkind glaubte“, der bengalische Dichter und Philosoph Rabindranath Tagore (1861–1941): „Jedes neugeborene Kind bringt die Botschaft, dass Gott sein Vertrauen in den Menschen noch nicht verloren hat“.
Die Geburt in Bethlehem ist aus christlicher Perspektive der Höchstfall des Vertrauens Gottes in den Menschen und zugleich die Zusage, dass eine andere Welt möglich ist. Das Heil steht allen offen. „Kommet alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid!“, wird das erwachsene „Christkind“ einladen.
Die Geburt des Christkinds ist eine Einladung zu einer neuen Menschlichkeit, kein Aufruf zur Vertreibung. Können wir aneinander das Schöne und Gute erkennen, auch wenn wir nicht den gleichen Glauben teilen? Gott wird Mensch – wirst auch du Mensch?
Wort zum Sonntag
Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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