Wort zum Sonntag
Ja, und darin offenbart sich ein tiefes Geheimnis über Gott und Mensch. In einer düsteren Nacht kommt das Kind in die Welt. Die Kälte der Berge Judäas kriecht in die letzten Ecken. Die Kälte der Menschen jagt die Familie in einen Stall. In der dunklen Nacht bricht der Himmel auf, geht das Fenster der Verwundbarkeit auf.
Vom Scheitel bis zur Sohle ist der Mensch verwundbar, so der französische Philosoph Emmanuel Lévinas. Der nackte Körper ist Ausdruck der tiefsten Verwundbarkeit. Diese Verwundbarkeit ist Versuchung und Anspruch. Es gibt die Versuchung, den anderen zu vernichten, seine Verwundbarkeit auszunutzen, und es gibt den Anspruch, das verwundbare Leben zu schützen, zu umsorgen.
Was macht Maria? Sie nimmt den Neugeborenen zu sich, wickelt ihn in Windeln, liebkost ihn. Sie beschützt ihn vor den voyeuristischen Blicken und nimmt ihn zu sich. Zweimal im Leben wird Jesus Zuflucht im Schoß seiner Mutter finden, in Leinen gewickelt: als nackter, verwundbarer Neugeborener und als nackter, verwundeter Gekreuzigter. Sie bedeckt und umsorgt ihn, sie liebt ihr Kind von der Krippe bis zum Kreuz. Ihre Hände berühren es sanft und achten die Würde des verletzlichen-verletzten Lebens. Der verlassene Jesus ist auch der geborgene Jesus.
Im Stall zu Bethlehem macht sich Gott zum Nichts – „se anonada“, predigt Oscar Romero zu Weihnachten 1979. Er setzt sich aus, riskiert, stellt im nackten Neugeborenen die radikale Frage: Wirst du, Mensch, mich vernichten oder in dein Herz legen? Wirst du mich quälen, foltern, verhungern lassen, töten oder umsorgen, berühren, lieben? Vernichten oder beschützen? Verlassen oder geborgen nehmen?
Die verwundbare Nacktheit Jesu ist das „Gesetz seiner Prophetie“ (Gottfried Bachl). Keine Orden, kein schicker Mantel, keine Uniform, kein Schutzanzug. Schonungslos taucht er ein in die Welt und setzt etwas in Gang, das Kreise zieht, das nicht einmal die mächtigsten Männer seiner Zeit stoppen können.
Darf uns das Hoffnung geben in der aufgezogenen kalten Nacht unserer Zeit? Dass der Himmel neu aufreißt und sich das Geheimnis zeigt: Die Verlassenheit kann zur Geborgenheit werden. Nimmst du Gott und Mensch in dein Herz?
Wort zum Sonntag
Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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