Wort zum Sonntag
„Fallen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, bitte nicht vom Glauben ab, bloß weil Sie sich über die Kirche ärgern. Jesus ist größer als die Kirche, Gott ist alles in allem. Bleiben Sie dran!“ – So beendet Stefan Jürgens sein neues Buch nach seinem Bestseller „Ausgeheuchelt!“. Dass sich der Gemeindepfarrer selbst über die Kirche ärgert, wird in den ersten Teilen des Buches mehr als deutlich, denn dort nimmt sich der Autor kein Blatt vor den Mund: „Der Kindesmissbrauch gehört zu den Kollateralschäden der Frauenfeindlichkeit und des daraus resultierenden Pflichtzölibats, denn dieser führt individuell zu Verdrängung und strukturell zu Seilschaften und Vertuschung; er macht das klerikale System für unreife und beziehungsunfähige Männer geradezu attraktiv. Der Pflichtzölibat gehört deshalb zu den heiligen Kühen, die geschlachtet werden müssen, will das katholische Christsein überleben und wirksam bleiben.“ Zusammenfassend sagt er: „Die römisch-katholischen Reformprobleme heißen: Zu viel Kirche, zu wenig Jesus. Zu viel Kirchenrecht, zu wenig Freiheit. Zu viel Klerus, zu wenig Eigenverantwortung. Zu viel sakramentale Vermittlung, zu wenig Gottunmittelbarkeit. Zu viel Struktur, zu wenig Inhalt.“
Aber bei aller harten Kritik schreibt Jürgens auch: „Glaube ohne Kirche ist für mich keine Option. Wenn der Glaube nicht konkret wird und sich vergemeinschaftet, existiert er faktisch nicht.“ Und auch ein Konfessionswechsel kommt für ihn nicht in Frage: „Ich bin gerne katholisch, auch römisch-katholisch.“ Die entscheidende Frage lautet also, wie man es bei allem Ärger nicht nur in der Kirche aushält, sondern auch aktiv seinen Glauben leben kann. Dazu rollt Jürgens eine ganze Reihe von Gegenstrategien aus: Jedes Kapitel endet mit ganz konkreten Stichworten, wie zum Beispiel: „Missstände beim Namen nennen, offen sprechen“, „die zentrale Verwaltung nicht allzu ernst nehmen – auch sie werden sich ändern, allerdings erst ganz zuletzt“, „Jesusjüngerin oder Jesusjünger werden statt nur Kirchenmitglied zu sein“ ...
Der letztgenannte Punkt zeigt, dass Jürgens keine freischwebenden Floskeln verwendet, sondern seine Haltungen spirituell verankert. Dazu gehört unter anderem eine Analyse wichtiger Sätze aus der Bergpredigt, aber auch das Hinterfragen von Kirchentraditionen: „Meines Erachtens ist das Unfehlbarkeitsdogma eine kindische Trotzreaktion auf den Verlust weltlicher Macht, denn es macht den Papst zum letzten Souverän ewig gültiger und universaler Wahrheiten.“ Sehr dogmenverpflichtete Katholik/innen werden da schlucken. Man erinnere sich: Zweifel am Unfehlbarkeitsdogma brachten Hans Küng um seine Lehrerlaubnis. Interessant ist dabei nicht zuletzt, dass auch Jürgens eine Form von „Trotz“ empfiehlt: „Im österlich-störrischen Trotzdem steckt die Kraft für eine erneuerte Kirche, die nicht mehr um sich selbst kreist, die sich nicht selbst erhalten, sondern den Menschen dienen will.“
Trotz hat aber auch mit Treue zu tun: „Mit dem Gottesdienst ist es bei mir wie mit dem Gebet: Ich halte einfach durch, auch hier geht Treue vor Qualität. (...) Treue ohne Qualität kann zur Qual werden, ja, zur lieblosen Sturheit verkommen. Doch weil ich um die Qualität der geschenkten Gottesbeziehung weiß und diese nicht erst mühsam herstellen muss, braucht es von meiner Seite vor allem die Treue, das Durchhalten.“ Jürgens empfiehlt daher: „regelmäßig beten, allein und in Gemeinschaft“, „täglich in der Bibel lesen“ oder „mindestens einem Armen konkret helfen“.
Jürgens Buch ist mutig und ehrlich. Manche empfohlene Haltung ist eher persönlich und man fragt sich, inwieweit das auch für andere Menschen in der Kirche zutreffen mag. Aber zweifellos findet der Autor bei der Beschreibung der Ist-Situation Worte, in denen sich viele kritische Kirchenmitglieder wiederfinden werden. Vor allem sollte man nicht übersehen, dass das Buch über manche Teile hinweg ein Bekenntnisbuch ist. Und das Bekenntnis gilt Jesus – und letztlich auch der Kirche. «
Stefan Jürgens: Dranbleiben! Glauben mit und trotz der Kirche. Herder Verlag, 224 Seiten, € 20,60.
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