Wort zum Sonntag
Wo war eigentlich die Seele Jesu zwischen der Kreuzigung und Auferstehung? Diese Frage hat die frühe Kirche beschäftigt. Der Gedanke an einen Aufenthalt Jesu in der Unterwelt brach sich Bahn. Auch wenn es biblisch nur wenige Anhaltspunkte für diese Vorstellung gibt, wurde der Sieg Jesu über die „klassischen“ gott- und lebensfeindlichen Mächte Tod, Unterwelt und Teufel immer mehr ausgemalt – besonders in apokryphen Schriften und in der Ikonografie: Jesus steigt zur Hölle hinab, er bricht das Tor zur Unterwelt auf und befreit die Seelen der Erlösten, als Erstes Adam und Eva. Dieser Abstieg Jesu hat auch Aufnahme gefunden in das Apostolische Glaubensbekenntnis: „ ... hinabgestiegen in das Reich des Todes ...“
Dem Glaubensbekenntnis geht es allerdings nicht um die Erzählung eines Faktums – es geht um den Glauben, dass Jesus Christus sogar die radikale Trennung, den vollkommenen Kommunikationsverlust mit Gott und anderen Menschen mitvollzieht. Es ist ein äußerstes Zeichen der Solidarität Gottes in seiner Suche nach dem „Verlorenen“.
Kein Bereich menschlicher Erfahrungswirklichkeit bleibt von der Rettung durch Jesus Christus ausgeschlossen. Das ist für mich der tiefste Inhalt der Erlösung: Es kann im Leben keine Situation geben, die gottlos ist, weil Gott selbst in diese Situation hinabgestiegen ist.
Der Hinabstieg in Todeszonen beschäftigt uns ständig. Die Sehnsucht nach Frieden und die gleichzeitige Wahrnehmung von Aggression, Terror, Bedrohung und Diktat der Waffen ist eine unermessliche Diskrepanz. Aber auch im Alltag: plötzliche Entfremdungen und Beziehungskälte, Krankheitsdiagnosen, physische Schmerzen und psychische Belastungen als alltägliche Begleiter, der Tod von lieben Menschen. Menschliche Zerrissenheiten sind Realität.
In der Passionsgeschichte werden diese Zerrissenheiten durch Simon Petrus verkörpert. Jener Petrus, der Jesus zum Verhör durch den Hohen Rat folgt. Er wird von Bediensteten als Jünger Jesu erkannt. Er schafft es nicht, sich zu ihm zu bekennen und verleugnet Jesus mit dem Satz „Ich bin es nicht.“ (Joh 18,17).
Man kann sich gut in Petrus hineinversetzen. Er will doch nicht riskieren aufzufliegen. Wer weiß, was sie mit ihm machen werden? Vielleicht hat er ja noch die Möglichkeit, unerkannt Jesus zu helfen. Petrus wird nicht einmal gefragt – nein, insgesamt dreimal hat er die Gelegenheit, Farbe zu bekennen. Er tut es nicht. Nach dem berühmten Hahnenschrei wird ihm dieser menschliche Abgrund bewusst. Petrus zerbricht nicht äußerlich, wohl aber innerlich (vgl. Mk 14,66). Dass ein Mensch zerbrechen kann, seelisch, körperlich, das wissen wir leider. Die Verleugnung und das Neinsagen zu dem, was uns ausmacht, das Nein zum Lebensfördernden und Aufrichtenden, das sind die Abstiege, die jede und jeder wohl nur allzu gut kennt.
Eben dieser Petrus begegnet uns wieder am Ostermorgen. Er läuft zum Grab, sieht die Leichentücher, aber nicht den Leichnam Jesu und bleibt – im Gegensatz zum anderen mitgelaufenen Jünger – ratlos. Der Evangelist Johannes leitet uns jedoch weiter zu einer anderen die Christenheit prägenden Gestalt: Maria Magdalena. Sie ist es, die dem begegnet, den sie zuerst für den Gärtner hält, der sich aber als Jesus zu erkennen gibt. „Ich gehe hinauf zu meinem Vater“, beschreibt Jesus seinen Weg.
Genau genommen begegnet Maria Magdalena also nicht dem Auferstandenen, sondern dem Auferstehenden, der den Weg ins Leben vollzieht. Auch Maria Magdalena geht den Weg ins Leben zurück. In Jesu Auftrag berichtet sie den Jüngern von seiner Auferstehung. Sie wird zur Apostelin der Apostel, wie der Kirchenvater Hieronymus es beschreibt.
Es gibt Wege ins Leben – hinaus aus den Todeszonen: Das ist die Botschaft von Ostern. Wir dürfen uns konfrontieren lassen von Möglichkeiten, in denen unverhofft neues Leben aufblitzt. Es sind Momente, die wir vielleicht erst im Nachhinein realisieren. Die wir versuchen, im Rückblick zu rekonstruieren. Wir erkennen, dass sich diese Momente oft nicht festmachen und schon gar nicht festhalten lassen.
Wir erkennen aber gleichzeitig, dass es plötzlich möglich ist, Wege aufeinander zuzugehen, was vorher unmöglich schien. Das sind Spuren der Auferstehung. Und sie werden auch dort erlebt, wo man nur Todeszonen auszumachen scheint: in der schweren Krankheit, im schwelenden Streit, in der tiefen Depression.
Es braucht hier Menschen, die Auferstehungsboten sind: Friedensvermittlerinnen, Lebensspender, Glaubenszeuginnen und Glaubenszeugen – so wie Maria Magdalena. Der Glaube an die Auferstehung ist ein großes Bekenntnis zum Leben.
Ich wünsche Ihnen und den Ihren ein frohes Osterfest.
+ Manfred Scheuer
Bischof von Linz
Wort zum Sonntag
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