Wort zum Sonntag
Auf den ersten Blick wirkt die Erzählung des Auszugs aus Ägypten mit all ihren detaillierten Angaben zunächst einmal wie ein historischer Tatsachenbericht. So wird die Auszugsroute genau nachgezeichnet und die Anzahl der ausbrechenden Menschen wird mit 600.000 Männern angegeben.Versucht man aber diesen biblischen Befund durch außerbiblische Quellen zu stützen, ergeben sich Schwierigkeiten. Der Reiseweg ist nicht wirklich nachvollziehbar. Das ist aber wahrscheinlich keine absichtliche Falschangabe, weil zur Zeit der Autoren eine derartige Route wohl existierte. Die Zahl der Israeliten ist aber mit Sicherheit übertrieben. In den ägyptischen Archiven findet sich nirgends auch nur eine einzige Notiz, die im Sinne des biblischen Exodus gelesen werden könnte. Insofern kann die Zahl nicht so groß gewesen sein.
In der Exodus-Erzählung lässt Gott das Volk jedenfalls einen Umweg nehmen: den Wüstenweg zum Roten Meer. So zumindest die gängigen Übersetzungen. Ist die Bezeichnung „Rotes Meer“ aber korrekt, hätte die riesige Menschenmenge das Meer durchqueren müssen, das zwar an der tiefsten Stelle „nur“ 95 Meter misst, an seinen engsten Stellen aber immerhin noch drei bis fünf Kilometer breit ist. In der Erzählung kommt aber eine falsche Angabe vor, die nicht den biblischen Autoren anzulasten ist: das Rote Meer ist nämlich im gesamten Text nicht zu finden. Auf Hebräisch wird das Gewässer nämlich als „jam suf“ bezeichnet. „suf“ kann zwar mit „rot“ übersetzt werden, seine Grundbedeutung ist aber „Schilf“. Der Übersetzungsfehler passierte bereits in der griechischen Fassung der Bibel, wo das Meer plötzlich als „eruthrós“ (rot) beschrieben wird. Im Lateinischen steht dann „mare rubrum“ (rotes Meer). Auch das Wort „jam“ ist nicht unproblematisch. Es bezeichnet auch einen See oder gar ein sumpfiges Gebiet. Dank einer ungenauen Übersetzung ist also aus dem „Schilfgewässer“ der Golf von Suez geworden.
Als wunderbarer Anfang der Geschichte des jüdischen Volkes wurde der Auszug aus Ägypten als Machterweis Gottes verstanden. Diesem Gott traute man sogar zu, dass er das Rote Meer, das in der Bibel gar nicht vorkommt, zweiteilt.
„Fake News“ in der Bibel
Teil 3 von 4
Simone Paganini
Geschäftsführender Direktor des Instituts für katholische Theologie der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen
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