Wort zum Sonntag
Leiden ist ein Widerfahrnis, das unseren Wunsch nach einem guten Leben durchkreuzt. Elementare Schrecken wie Hungersnöte, Kriege, Naturkatastrophen sprengen den gesicherten Rahmen des Lebens. Nicht nur unser Fühlen und Empfinden wird angegriffen, Leiden bedroht auch unser Denken. Das menschliche Denken ist grundlegend auf Verstehen ausgerichtet. Leiden widerspricht vielfach dem Verstehen. Etwas nicht verstehen aber heißt, ihm keinen Sinn abringen können. Darum betrifft das Leid den Lebensnerv unserer Existenz.
Die Corona-Krise hat diese Warum-Frage des Leidens bei vielen Menschen wieder virulent gemacht. Bilder von überfüllten Intensivstationen, überforderten Ärzten und Pflegekräften, mit dem Tod ringenden Patienten gingen um die Welt und offenbaren Ohnmacht und Verzweiflung. Nun wissen wir Menschen des 21. Jahrhunderts durchaus um die natürlichen Ursachen solcher Katastrophen, auch wenn vielleicht wichtige Details im Dunkeln liegen. Aber bemerkenswerterweise genügen uns die wissenschaftlichen Antworten auf diese Übel nicht. Erst recht nicht, wenn jemand selbst von schwerem Leid betroffen ist. Wer zum Beispiel an einer lebensgefährlichen Krankheit leidet, dem hilft zwar das Verständnis über die Ursachen und Auswirkungen einer solchen Krankheit, aber eine Antwort auf die Frage „Warum ich?“ ist damit noch nicht gegeben.
Es ist deshalb eine sehr menschliche Reaktion, in solchen Krisen nach einem „Sinn“ von Leidenserfahrungen zu fragen und zu suchen. Seit es Hochzivilisationen gibt, können wir beobachten, wie Menschen auf die brennenden Fragen des Leidens Antworten entwickelt haben. Vor allem waren und sind es die Religionen, die darauf Antworten entwickelt haben. Höchst unterschiedliche Antworten! Ich denke an die fernöstlichen Traditionen mit ihren Vorstellungen von karma (Tatvergeltung) und samsara (Kreislauf der Wiedergeburt), während unsere biblische Tradition das Leid mit dem Glauben an Gott als guten Schöpfer vereinbaren musste.
Die bedeutendste Auseinandersetzung mit dem Leiden in der Bibel ist das Buch Ijob. Ijob, ein nichtjüdischer, aber gottesfürchtiger Mann, widerfährt schreckliches Leid. Anfangs erduldet er es mit tapferem Glauben: „Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen.“ – Er fügt sich der Ordnung von guten und bösen Tagen unter dem Segen Gottes. Doch als das Leid ihn völlig übermannt, schreit er innerlich sein „Warum?“ Gott entgegen – doch Gott bleibt stumm. Ijob akzeptiert nicht, dass er selbst oder jemand anderer schuld sei an seinem Leiden, er fordert darum von Gott Rechenschaft. Doch Gott antwortet nicht. Das Buch endet mit einem leidgeprüften Ijob, der anerkennt, dass es auf die Frage „Warum?“ keine befriedigende Antwort gibt. Aber er hat gelernt, mit seinem Leid zu leben. Er hat gelernt, dass er Gott seinen Schmerz, seine Enttäuschung entgegenschleudern darf, und akzeptiert, dass er keine Antwort bekommt. Zuletzt wird Ijobs Leben doch wieder gut. Ein Happy End.
Es gibt allerdings unendlich viel Leid, das kein Happy End kennt. Ganz im Gegenteil. Dennoch ist das Buch Ijob eine bis heute gültige Schule des Lebens und Glaubens: mit dem Leid leben, ohne sich von ihm zerstören zu lassen oder andere zu zerstören; mit dem Leid leben und es dort zu überwinden versuchen, wo es überwunden werden kann und aufgelöst werden muss; mit dem Leid leben, die Frage nach dem Warum aushalten und dennoch Gott vertrauen, dass im Letzten alles gut wird. Das ist die Kraft des Glaubens, der Hoffnung, der Liebe. «
Wort zum Sonntag
Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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