Wort zum Sonntag
Nikolaus heißt er, und in wenigen Wochen feiert der kleine Kerl schon seinen ersten Geburtstag. Plötzlich gibt es in meinem aktiven Sprachschatz ein neues Wort. Mit Schmunzeln und Staunen nehme ich wahr: ich bin jetzt Urgroßtante!
Als Kinder mussten meine Schwester und ich wegen der Krankheit unserer Mutter an einem Kinderlager teilnehmen. Der Besuch einer ganz unbekannten Urgroßtante war damals der einzige Lichtblick, obwohl die alte Frau ganz schwarz angezogen und uns völlig unbekannt war. Das Dunkle und das Helle haben sich in meiner Erinnerung zu einem Bild verwoben. Und jetzt, da ich selber Urgroßtante bin, frage ich immer öfter nach dem Dunklen und dem Hellen, nach den Schattierungen in meinem eigenen Leben, nach den schon ausgestandenen Rissen und Schmerzen, aber viel mehr noch nach den Goldfäden im ganzen Gewebe.
Heuer feiere ich meine goldene Profess, das heißt: ich habe vor 50 Jahren meine ersten Gelübde als Schulschwester abgelegt. Bin ich jetzt alt oder jung? Aber ist das überhaupt wichtig? Es gehört fast zu einer Höflichkeitsformel, jemandem zu widersprechen, der von sich selber sagt, er sei alt. „Man ist so alt, wie man sich fühlt“, sagen die einen, die anderen beteuern, das „sei ja noch kein Alter!“. Jung sein, jung aussehen, jugendlich bleiben, das sind heute in unserer westlichen Gesellschaft Werte, mit denen einzelne Industrien viel Geld verdienen.
Aber es tauchen auch andere Bewertungen auf. „Silver living“ wird zu einem neuen Begriff. Gold oder Silber, grau oder schwarz – was gibt meinem Leben jetzt seine Farbe? Ich darf sagen: Mein Leben ist bunt, vielfältig sind meine Aufgaben. Ich bin dankbar für das durchschimmernde Gold, aber es ist mir ganz wichtig, auf das besondere Blau zu achten, auf die Farbe des Glaubens. Es darf zum Leuchten kommen, gerade jetzt, in diesem Herbst 2022, während dunkle Wolken über uns allen hängen. Wie kann ich jetzt aus dem Glauben leben und wahrhaftig beten? Es hilft mir, mit dem Propheten Habakuk zu flehen: „Wie lange, Herr, soll ich noch rufen, und du hörst nicht? Ich schreie zu dir: Hilfe, Gewalt! Aber du hilfst nicht. Warum lässt du mich die Macht des Bösen erleben?“ (Habakuk 1,2.3).
Tröstlich ist es, in den Laudes der 2. Woche im Stundenbuch mit dem Propheten zu beten: „Dennoch will ich jubeln über den Herrn, und mich freuen über Gott, meinen Retter. Gott, der Herr, ist meine Kraft.“ (Habakuk 3,18.19). Wenn ich aufschaue, sehe ich das Gold der Verheißung auf dem blauen Grund des Glaubens – ich sehe es täglich, aufgemalt im Gewölbe unserer Kirche.
Zum Bild: In der Hauptkuppel des Petersdoms im Vatikan (im Bild) und in vielen anderen Kirchen sieht man das Gold der Verheißung auf blauem Grund, der Farbe des Glaubens. Im Alter kommen oft Fragen nach den Schattierungen und Farben des Lebens hoch. Für Sr. Beatrix Mayrhofer ist es wichtig, das Blau zum Leuchten zu bringen.
Wort zum Sonntag
Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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