Wort zum Sonntag
Vor dem Vaterunser im Gottesdienst ruft der Priester feierlich auf: „Lasset uns beten, wie der Herr uns zu beten gelehrt hat“. Aber es bleiben offene Fragen. Gemäß der Bergpredigt bei Matthäus, nach dessen Version wir das Vaterunser beten, hat Jesus für das Beten die Speisekammer empfohlen, den einzigen Raum im Haus, der versperrbar war. Und er hat selbst gerne einsam in der Nacht gebetet.
Hat Jesus das Vaterunser selbst gebetet oder es nur gelehrt? Es klemmt zumindest bei Bitte um die der Vergebung der Schuld – denn der Glaube bekennt Jesus als sündenfrei. Für mich ist jedenfalls unvorstellbar, dass Jesus es mehrmals gebetet hätte (und auch von einem anschließenden „Gegrüßet seist Du Maria“ konnte noch lange keine Rede sein).
Die Überlieferung ist für das Vaterunser deutlich dünner, als uns gemeinhin bewusst ist: Paulus kennt es nicht, auch Markus und Johannes kommen ohne
Vaterunser aus. Die beiden Fassungen bei Matthäus und Lukas ergänzen sich wechselseitig. In der Kürze ist Lukas ursprünglicher, in den Formulierungen aber Matthäus oft authentischer. Nach Lukas 11,2 beginnt das Vaterunser nur mit „Vater“ ohne „unser“.
Das bestätigt das Neue Testament ziemlich einhellig. Jesus sagte ursprünglich nur Vater, und zwar in der aramäischen Form „Abba“ (Galaterbrief 4,6; Römerbrief 8,15; Markus 14,36). Und das ist eigentlich auch schon das ganze Gebet. Wir praktizieren das Vaterunser oft als Bittgebet und werden dabei auch ziemlich beharrlich und hartnäckig, wenn wir nicht gleich bekommen, was wir möchten. Doch für Jesus ist gewiss, dass wir dabei gar nicht so viele Worte machen müssen, „denn euer Vater weiß, wessen ihr Bedarf habt, noch bevor ihr ihn bittet“ (Matthäus 6,8), und genau das ist auch die Einleitung des Vaterunsers in der Bergpredigt.
„Abba“ (Papa) ist neben „Im“ (Mama) im Aramäischen der kleinkindliche Ausdruck für die ersten Bezugspersonen, meint das sich zuwendende Du, ohne das wir nicht leben und überleben können. Dass dieses Du nicht unbedingt patriarchal besetzt ist, das zeigt schon das Verständnis der göttlichen Barmherzigkeit in der Bibel (und im Koran) als dem Plural von „Mutterschoß“ (rachamím). Von dieser semitisch-biblischen Tradition hatte das christliche Abendland über ein Jahrtausend keine Ahnung, und so ist es nicht verwunderlich, dass sich in unserem Denken einiges zusammengebraut hat, was der Jesusüberlieferung nicht ganz entspricht.
Mein persönliches Vaterunser begnügt sich jedenfalls mit den aramäischen Anreden „Abba“ und „anttá“ (auf Deutsch: du) und versucht die Beziehung mit Gott zu bedenken und zu bedanken. Vielleicht ist das auch interkulturell einigermaßen nachvollziehbar. Nachzuhören übrigens auf youtube mit den Suchwörtern „trummer“ und „niggun“.
Der Bibelwissenschaftler Peter Trummer hat mehrere Bücher über Jesus geschrieben. 2024 erschien „Mit Jesus am Puls der Zeit“ im Verlag Herder.
Wort zum Sonntag
Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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