Wort zum Sonntag
Die romanische Basilika mitsamt der ganzen Stadt Vézelay im französischen Burgund sind Weltkulturerbe. Nicht nur das Ensemble von Dom und Häusern, auch Details wie die Kapitelle der Kirche sind weltberühmt. Für besonderen Gesprächsstoff sorgt das Kapitell, das den Apostel Judas Iskariot zeigt. Er, der Jesus „ausgeliefert“ hat, wie es im biblischen Text heißt, hat einen denkbar schlechten Ruf – von der Bibel angefangen durch die ganze 2000-jährige Geschichte hindurch. „Er hätte besser gar nicht geboren werden sollen“, das ist noch das Harmloseste, was ihm in der Heiligen Schrift nachgesagt wird, wo es aber auch heißt: „Es reute ihn seine Tat und er erhängte sich.“ Papst Franziskus hat auf dieses Kapitell von Vézelay schon mehrmals in seinen Predigten hingewiesen. Für ihn steht außer Diskussion, dass der junge Mann, der Judas auf den Schultern trägt, Jesus ist. Wer sollte es sonst sein als der gute Hirte? „Die Barmherzigkeit ist ein Geheimnis, sie ist das Geheimnis Gottes“, sagte Papst Franziskus mit Blick auf Judas und zog sich damit den Zorn derer zu, die meinen, die Rechtgläubigkeit für sich gepachtet zu haben. Es stimmt: Das Kapitell fällt aus dem Rahmen und ist in der Kunstgeschichte einzigartig. Bis auf diese Ausnahme in Vézelay wird sonst deutlich erkennbar das Gegenteil gezeigt: wie Dämonen Judas holen und ihn ins Verderben zerren. Oder will der Papst vielleicht sogar sagen: Wenn Judas gerettet wird, dann werden alle Menschen gerettet und niemand kommt in die Hölle?
Jedenfalls ist die Aufregung in traditionalistisch-katholischen Kreisen groß, aber andererseits auch die Faszination, die von diesem Kunstwerk ausgeht. Der deutsche Jesuit Christoph Wrembek hat vor nicht einmal zwei Jahren, ausgehend von diesem Kapitell, ein Buch geschrieben, das von Judas, der Hölle und Bibeltexten handelt, die den barmherzigen Jesus zum Thema haben. Es wurde ein Bestseller und liegt bereits in der fünften Auflage vor. Es heißt „Judas, der Freund“ und hat den Untertitel „Du, der du Judas trägst nach Hause, trage auch mich“. Besonders diese Gebetsbitte in Kombination mit der Darstellung des Kapitells berührt die Leser/innen. Mehrere Hundert Briefe mit teilweise erschütternden Lebensgeschichten und -beichten hat der Autor inzwischen erhalten.
Jesus, der für Judas zum guten Hirten wird – das ist der Ernstfall des Evangeliums. Der Künstler von Vézlay hat es in Stein gemeißelt, entgegen dem Zeitgeist damals und der Mehrheit der Theologen, die sich für Judas keinen anderen Ort als die Hölle vorstellen konnten. „Er wagt es, Jesus beim Wort zu nehmen, und er meißelt aus hartem Stein ein Bild tröstlicher Hoffung, einen guten Menschen, der Judas vom Strick nimmt, einen guten Mann, der ihn auf seine Schultern nimmt, einen guten Hirten, der ihn heimträgt“, schreibt Hans Kremer in der Zeitschrift „Orientierung“.
Zum Bild: Ein Kapitell in der Kirche Sainte-Marie-Madeleine in Vézelay in Burgund, das einzigartig ist: Es zeigt das Geschick von Judas Iskariot. Links sieht man den erhängten Judas und rechts eine Szene, wie ihn ein junger Mann, der als Jesus, der gute Hirte, interpretiert wird, auf den Schultern trägt. Mehr zu dieser Darstellung im Buch:
Christoph Wrembek SJ, „Judas, der Freund. Du, der du Judas trägst nach Hause, trage auch mich“. Verlag Neue Stadt, 5. Auflage 2019, 158 Seiten. picssr.com
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