Wort zum Sonntag
Aleksandra Nagele, Sie organisieren regelmäßig Abendveranstaltungen über das Scheitern. Wieso machen Sie das?
Aleksandra Nagele: Wir leben in einer Null-Fehler-Kultur. Wir sind so aufgewachsen: Null Fehler wurden belohnt. Unsere Abendgespräche machen bewusst, dass Menschen unvollkommen sind, dass uns Fehler passieren und dass man sie nicht unter den Teppich kehren muss.
Die Reihe trägt einen Namen, der in vielen Ohren ordinär klingt: „Fuckup Nights“. Warum?
Nagele: Im englischsprachigen Raum klingt das nicht so ordinär, man verwendet es wie „Hoppala“. Ich habe die Bewegung nicht erfunden, sie ist 2012 in Mexiko entstanden. Mittlerweile gibt es sie in mehr als 300 Städten auf der ganzen Welt, und sie heißt überall gleich. Auch das Format ist überall gleich: Drei Personen erzählen zehn Minuten lang, wie sie in ihrem Berufsleben gescheitert sind.
Wie oft sind Sie selber gescheitert?
Nagele: Es gibt keine große Scheitergeschichte, aber ich scheitere immer wieder an mir selbst, wie die meisten Menschen. Wenn wir uns dem stellen, können wir daran wachsen. Am häufigsten scheitere ich als Mutter, wenn ich gerne soundso reagieren würde, gerne ruhig bleiben würde und es wieder einmal nicht schaffe. Ich kann aber daran wachsen, wenn ich es reflektiere.
Sind „Fuckup Nights“ öffentliche Beichten?
Nagele: In gewissem Sinne ja. Man mutet dem Publikum ja die eigenen Fehler zu. Das Schöne dabei ist die Erfahrung: Die Fehler grenzen nicht aus. Ausgegrenzt zu werden ist die größte Angst, wenn man scheitert.
Apropos Beichten: Wie halten Sie es mit der Religion?
Nagele: Ich bin in einem christlichen Wertegefüge aufgewachsen, wurde aber nie getauft. Diese beiden Dinge gehören nicht zwangsläufig zusammen. Meine Mutter kam aus Serbien, mein Vater aus Österreich, der ist so katholisch wie viele: nur am Papier. Ich bin nicht mit den katholischen Ritualen aufgewachsen. In den 1980er-Jahren war es noch so: Als Ungetaufte bin ich eher im Abseits gestanden. Ich habe den anderen dabei zugesehen, wie sie Erstkommunion hatten und all die anderen Feste. Trotzdem gab es Glaubensthemen in meiner Familie, es wurde viel diskutiert, auch darüber. So gesehen bin ich in einem christlichen Sinn groß geworden. Es war dann immer wieder einmal die Frage: Wenn man heiratet – wie heiratet man? Werden die Kinder getauft? Diese Fragen tauchen auf. Ich persönlich finde immer wieder gute Anknüpfungspunkte zur Kirche. Das ist ein Weg, den ich gehe. Mein Sohn ist gerade getauft worden, im Alter von acht Jahren, weil er sich das gewünscht hat. Wir waren in der Taufvorbereitung bei Pfarrer Heinrich Wagner, was ein sehr schöner, intensiver, lohnender Prozess für uns alle war. Das hat auch mir eine ganz andere Perspektive auf das Thema gegeben.
Wie kommt ein achtjähriges Kind auf die Idee, getauft werden zu wollen?
Nagele: Mein Sohn war in einem katholischen Kindergarten, in der Schule besucht er den Religionsunterricht. Die Lehrerin sagt, alle sind willkommen, das schätze ich sehr. Er wächst nicht ganz so am Rande einer katholischen Gesellschaft auf wie ich. Er hat einen Bezug dazu, die Welt ist ihm nicht fremd.
Vom Rand her hat man eine andere Perspektive: Was brauchen aus Ihrer Sicht die Menschen heute von der Kirche?
Nagele: Ich glaube, sie brauchen das Gefühl, dass sie willkommen sind, egal aus welcher Ecke der Welt oder welcher Konfession oder Nicht-Konfession sie kommen. Sie brauchen eine spirituelle Begleitung. Ich habe das in der Taufvorbereitung für meinen Sohn so erlebt. Die spirituelle Heimat ist weniger regelabhängig, sondern stärkt und unterstützt.
Wie sah die Taufvorbereitung aus?
Nagele: Das war super! Es waren sechs Termine für meinen Sohn alleine und sechs Termine mit uns Eltern und einem erwachsenen Firmkandidaten. Es waren eigentlich philosophische Abende. Wir haben uns bei uns daheim zusammengesetzt, weil das mit der Kinderbetreuung leichter war. Heinrich hat immer Themen aus der Bibel mitgebracht und sie auf eine Art und Weise aufbereitet, die auch mir, obwohl ich nicht so verankert bin im Katholischen, einen ganz aktuellen Zugang ermöglicht hat, eine ganz neue Sichtweise auf die Themen. Jeder einzelne Abend war so bereichernd, dass ich schon beim vierten Termin richtig traurig war, dass es nach sechs Abenden vorbei sein würde. Ich überlege schon, ob ich zu solchen Runden einmal in die Pfarre komme.
Was hat Sie denn da so gepackt?
Nagele: Am ersten Abend haben wir gesammelt, welche Dinge uns im Alltag Kraft geben. Das klingt so banal. Aber wir haben gleich 25 Punkte gefunden, die uns stärken. Wenn man sich im rastlosen Alltag Zeit nimmt das zu reflektieren, dann sind die Kraftquellen viel präsenter und man kann sie nützen. An einem anderen Abend haben wir die Geschichte vom verlorenen Sohn gelesen. Das war für mich der beste Abend überhaupt. Wir haben die Geschichte in acht Szenen aufgeteilt, und alle in der kleinen Runde haben dann mit selbstgemachten Puppen eine der Szenen aufgestellt, wie bei einer Familienaufstellung. Zum Beispiel: Der Vater schließt den Sohn in die Arme. Als die acht Szenen im Raum standen, gingen wir jede Szene durch. Wer die Szene gebaut hatte, schlüpfte in die Rolle der Figuren, die anderen stellten Fragen wie: „Vater, wie geht es dir, wenn du den Sohn wiedersiehst?“ Durch dieses In-die-Rolle-Schlüpfen haben wir einen ganz anderen Zugang zu der Geschichte bekommen. Die Gefühle, die damit verbunden sind, kennen wir ja alle. Und der Pfarrer erklärte immer wieder, welche Zeit das war, was damals für die Menschen wichtig war, welche Bedeutung die Dinge hatten, er hat es übersetzt in unsere Zeit. Das hat das Ganze für uns greifbar und lebendig und wertvoll gemacht.
Eine „kleine“ Frage zum Schluss: Was ist der Sinn des Lebens?
Nagele: Oh, eine große Frage! Wir kommen auf die Welt und haben ein Ur-Wissen, wo wir hingehören und was uns ausmacht. Das verlieren wir, wenn wir aufwachsen, durch die Ansprüche der Gesellschaft. Der Sinn ist, diesen Weg zu sich selbst wieder zurückzufinden, zu dem, was uns ausmacht.
Was ist das zum Beispiel?
Nagele: Zum Beispiel was man hinterlassen will, wenn man von der Welt geht. Was man bewirkt haben will. Im Aufwachsen werden so viele Anforderungen an uns herangetragen: Wir sollen einen guten Beruf haben, erfolgreich sein, ein Haus bauen, Kinder haben ... man zerstreut sich ja in alle Himmelsrichtungen. Eine wesentliche Aufgabe ist, wieder zurückzufühlen, und da können Kirche und Spiritualität ein richtig schönes Werkzeug sein. Zurückzufühlen in das, was einen selbst im tiefsten Inneren bewegt und ausmacht, und das zu leben. Wenn man das schafft, hat man glaube ich ein erfülltes Leben. Und dazu gehört – jetzt komme ich auf das Scheitern zurück – dass man viel ausprobieren darf, dass man viel danebenhauen darf, dass man viele falsche Wege gehen darf, ohne dass man gleich rausfällt und an den Rand gestellt wird. Wer viel macht, macht auch viele Fehler, das liegt in der Natur der Sache.«
Aleksandra Nagele
Aleksandra Nagele wurde 1982 in der Nähe von Novi Sad in Serbien geboren und kam mit 18 Monaten nach Österreich, wo sie in Wels aufwuchs und maturierte.
Danach studierte sie Informationsmanagement an der FH Burgenland in Eisenstadt. Als IT-Strategin begleitete sie digitale und strukturelle Neuerungen in Unternehmen. Über Krems und Wien kam sie nach Boston/USA, wo sie Firmen beim Zusammenwachsen beriet. Von dort kehrte sie nach Wien zurück, arbeitete für verschiedene Agenturen. Mit der Familiengründung entschied sie sich für die Übersiedlung nach Salzburg, wo sie mit ihrem Mann und zwei Kindern lebt und eine kleine Agentur leitet. Viermal im Jahr moderiert sie Abendgespräche über das Scheitern und bietet das auch Firmen an, damit das Scheitern zur Ressource wird.
Persönlichkeiten im Gespräch
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Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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