Wort zum Sonntag
Verzweifelt, niedergeworfen auf einen Felsen, ganz allein, denn seine Jünger schliefen, rief er: „Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst.“
Jesus ergab sich dem Willen Gottes in der festen Zuversicht, dass Gott ihm helfen würde. Dass der Vater ihn nicht verlässt in seiner Not. Ich weiß nicht, ob Gott einen Plan für mich bereithält. Und doch ist da eine Verbindung zwischen Jesus und mir. Dass er die Verzweiflung kannte und sich in seiner größten Not an Gott wandte, das ermutigt mich. Es ermutigt mich zu beten, dein Wille geschehe.
Und Ermutigung brauche ich. Seit dem Mord an meinem Bruder Fritz fällt es mir schwerer zu beten, dein Wille geschehe. Seither bin ich vorsichtiger geworden, ja beinahe misstrauisch. Was von alldem, was um mich herum geschieht, ist denn nun Gottes Wille? Und was nicht? Das Gute, ja? Das Schlechte, nein? Gottes Wille ist tief verborgen. Er kann sehr tief verborgen sein. Oft weiß ich nicht, woran ich ihn erkennen kann. Und wie ich ihn finden soll.
Trotzdem betete ich auch in jener Zeit, dein Wille geschehe. Ich betete mit brennender Hoffnung und trotziger Entschlossenheit. Ich betete in hilfloser Verzweiflung und kämpferischer Wut. Denn ich sehnte mich nach Gottes Willen.
Mitten in der Katastrophe entfaltete die Bitte eine fast bizarre Kraft. Ausgerechnet der Satz, den ich mit Argwohn betrachtete. Ausgerechnet er gab mir Halt. Ausgerechnet er tröstete mich. Vielleicht weil mir noch nie so bewusst war, dass nicht alles von meinem Willen abhängt. Dass in Wahrheit, wenn es darauf ankommt, gar nichts von meinem Willen abhängt. Weder von mir noch von meinem Willen. Und ich gerade dann abhängig bin von einer anderen Kraft. Von Gott.
Dass das Gebet mir half, überrascht mich noch heute. Dass Gott mir half, in dieser Not. Dass er mir das Rüstzeug gab, das ich brauchte, um zu funktionieren, ohne dass ich es merkte. Wie er das tat, ist mir ein Rätsel. Aber es war so. Es half mir. Beim Trösten. Und Tränentrocknen. Beim Dasein. Und Zuhören. Beim Kümmern um die Familie. Und dem Ärger mit den Behörden. Beim Alles-Aushalten. Es war sein Wille. Er geschah.
Von mir verlangte Gott nichts. Nicht, dass ich in die Kirche gehe. Nicht, dass ich eine Kerze anzünde. Nicht, dass ich bete. Ja, noch nicht einmal, dass ich glaube. Und doch tat ich es. Vielleicht, weil Gott nichts forderte. Sondern einfach da war. Durch andere Menschen. Weil er sich mir zeigte. Durch andere Menschen.
Weil er mit mir betete. Durch andere Menschen. Weil er mir Menschen schickte, die bei mir waren. In all der Zeit. Menschen, die immer da sind. Und es erfüllte sich, was ich erhofft hatte, als ich betete, dein Wille geschehe: Ich kam wieder zurecht in meinem Leben. Einem Leben, das nicht in meiner Hand liegt. Sondern in Gottes Hand.
Wort zum Sonntag
Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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