Frauen sind für den Haushalt verantwortlich, Männer für das Auto und Reparaturen: Die Rollenbilder in Österreich sitzen tief, meint die Sozialethikerin Petra Steinmair-Pösel. Trotzdem haben sich die Lebensvorstellungen in den letzten 20 Jahren verändert.
Wie sehr haben sich Frauen und Männer in ihren Aufgabengebieten einander genähert? Petra Steinmair-Pösel: Die Studien haben gezeigt, dass Paare stärker als vor 20 Jahren auf eine gleichberechtigte Verteilung der Aufgabenbereiche in Partnerschaft, Haushalt, Kinder- und Altenpflege setzen. Aber von einer Aufteilung 50 zu 50 % sind wir noch weit entfernt. Erstaunlich ist, dass es z.B. im Haushalt nach wie vor eine Zuordnung gibt: Frauen sehen sich für Wäsche und Bügeln alleinverantwortlich, Männer für Auto und Reparaturen. Das ist ein Beispiel dafür, wie tief die Rollenbilder sitzen und wie träge die Gesellschaft ist, sie zu verändern.
In den letzten zehn Jahren kam es laut den Studien zu einer leichten „Retraditionalisierung“. Warum? Steinmair-Pösel: Es gibt wieder eine wachsende Zahl traditionell fühlender und pragmatisch denkender Frauen und Männer. Letztere wollen sich das Beste aus allen Rollenmodellen herauspicken. Neue Wege in der Partnerschaft auszuhandeln kostet Energie, der Interessenskonflikt zwischen Mutter- oder Vater-Sein und Beruf kann ins Burnout führen. Deshalb wählen Paare in manchen Lebensphasen traditionelle und gehen dann wieder zu modernen oder pragmatischen Rollen über, je nach Lebenssituation. Dafür wollen sie die Unterstützung des Staates und der Gesellschaft.
Die Mutter zu Hause versus die berufstätige Mutter: Warum wird die Diskussion darüber oft aggressiv geführt? Steinmair-Pösel: Die Familie ist ein ganz zentraler, von den Menschen extrem hoch bewerteter Lebensbereich, deshalb hat sich die Diskussion in den letzten Jahrzehnten ideologisch hoch aufgeladen: Die einen galten als „Glucken“, die anderen als „Rabenmütter“. Frauen, die mehr bei den Kindern sein wollen, wurde Verrat am Anliegen Gleichberechtigung unterstellt. Feministinnen wiederum galten als Verräterinnen am Mutterideal. Heute nehme ich in der Diskussion eine leichte Entspannung wahr.
Was würden Sie heute noch als typisch männlich/typisch weiblich bezeichnen? Steinmair-Pösel: Von typisch männlich bzw. typisch weiblich zu sprechen finde ich nicht angemessen, weil es nicht DAS unveränderlich Männliche oder DAS unveränderlich Weibliche gibt. Zwischen traditionellen Männern und Frauen gibt es z.B. eine viel größere Übereinstimmung als zwischen traditionellen und modernen Männern bzw. Frauen.
Halten Frauen Männer davon ab, sich stärker in Partnerschaft, Haushalt, Kinder, Altenpflege einzubringen? Steinmair-Pösel: Die Autorin Sheryl Sandberg spricht von „maternal gatekeeping“, dem „mütterlichen Türstehen“: Frauen bewachen mehr oder weniger bewusst die Pforten zu ihren bisherigen Machtbereichen. Dieses Phänomen mag es geben. Frauen haben in den letzten Jahren mehr an Verantwortung dazugenommen, d.h., sie sollten mehr Verantwortung in den ihnen zugeschriebenen Bereichen abgeben. Und sie müssen lernen, dass sie Männer die Arbeit auf deren Art machen lassen. Warum sich Männer nicht noch mehr in diesen Bereichen engagieren, hat aber noch andere Gründe. Sie haben zum Beispiel mehr Angst als Frauen vor beruflichen Nachteilen, wenn sie in Eltern- oder Pflegekarenz gehen.
Der deutsche Politiker Siegmar Gabriel möchte sich mehr Zeit für seine Tochter nehmen. Brauchen Männer prominente Vorbilder, um verstärkt in Eltern- bzw. Pflegekarenz zu gehen? Steinmair-Pösel: Vorbilder braucht es auf jeden Fall. Wir sind mimetische, also nachahmende Wesen – wenn ein anderer bereits etwas vor uns gemacht hat, tun wir uns leichter. Prominenten kommt als Vorbild eine besondere Verantwortung zu, aber auch Führungspersonen im näheren Umfeld.
Warum finden Sie die Formel „Zurück an den Herd“ nicht gut? Steinmair-Pösel: Der negative Ausspruch „Zurück an den Herd“ ist riskant für das Anliegen, Hausarbeit gerecht unter den Geschlechtern aufzuteilen. Die bezahlte Erwerbswirtschaft und die unbezahlte Versorgungswirtschaft sind voneinander abhängig. Wenn die unverzichtbare Versorgungsarbeit gegenüber der Erwerbswirtschaft abgewertet wird – wer will sie dann noch machen?
Frauen, Männer und die erschöpfte Familie
Der Pastoraltheologe und Werteforscher Paul M. Zulehner und die Sozialethikerin Petra Steinmair-Pösel stellen in ihrem neuen Buch drei repräsentative Studien vor. Sie wurden in den Jahren 1992, 2002 und 2012 in Österreich durchgeführt. Bei den ersten beiden Studien wurden vorrangig Männer befragt. Die Studie von 2012 wurde mit Blick auf die Rolle der Frau ergänzt. Zusätzlich wurden die Geschlechterrollen von Musliminnen und Muslimen in Österreich untersucht. In diesem fundierten Buch sind nicht nur Daten und Fakten zu allen Lebensbereichen von Männern und Frauen und den Veränderungen in den letzten 20 Jahren nachzulesen. Die Autorin und der Autor beschreiben ihre Erkenntnisse mit großer Sensibilität für die unterschiedlichen Lebensentwürfe. Sie beleuchten die Rolle von Wirtschaft und Politik bei der Gleichberechtigung und formulieren Fragen, die dringend in der Gesellschaft diskutiert werden müssen.
Stichworte Haushalt, Unterhalt und Altenpflege
„In der Studie wurde folgende Aussage vorgelegt: ‚Die Frau ist für Haushalt und Kinder zuständig, der Mann für den Unterhalt.‘ 1992 haben 37 % der Frauen zugestimmt, 2002 nur mehr 28 % und 2012 wieder 40 %. Noch dramatischer ist es bei den Männern: 1992 haben 41 % zugestimmt, 2002 nur mehr 32 % und 2012 wieder 50 %! Andererseits wollen Frauen hinter manche Errungenschaften der letzten 20 Jahre nicht mehr zurück. Die Aussage: ‚Frauenemanzipation ist eine gute und notwendige Entwicklung‘, erhielt deshalb wachsende Zustimmung: 1992 lag sie bei Männern bei 30 %, 2002 bei 38 % und 2012 bei 52 %. Bei Frauen ist die Zustimmung von 49 % (1992) über 61 % (2002) auf 73 % (2012) gestiegen. Emanzipation hat einen guten Klang – übrigens erfreut sich auch ‚Männeremanzipation‘ wachsender Akzeptanz.“
„Der Pflegebereich ist eine der großen Herausforderungen in unserer Gesellschaft. Ältere Menschen möchten zu Hause gepflegt werden. Derzeit sind Frauen noch eher bereit zu pflegen als Männer. Der Staat wird nicht alle Pflegeleistungen übernehmen können. Es braucht viel Kreativität und Solidarität und neue Wohn- und Pflegemodelle. So wie es Kindertagesstätten gibt, braucht es auch Altentagesstätten. Hier sind Impulse auch von kirchlicher Seite gefragt. Die Kleinfamilien kann man damit nicht allein lassen.“