Einen flammenden Appell, sich für Europa zu engagieren und Europa mitzugestalten, richtete der EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy an die Christinnen und Christen. Er sprach bei einer Tagung zum Thema „Macht – Glaube – Politik“ im Stift Heiligenkreuz.
Die Europäische Union sei ein Gestaltungsprozess und ein ständiges Ringen nach mehr Zusammenleben und mehr Einheit. Nicht alles hänge dabei von den Christen ab, aber wenn sogar sie den „europäischen Traum“ aufgeben, dann komme die Solidarität unter die Räder, meinte der EU-Ratspräsident bei einer hochkarätigen Tagung im Stift Heiligenkreuz. Van Rompuy verwies darauf, dass das europäische Einigungswerk und die von vielen für unmöglich gehaltene Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland vor allem von Christen ins Leben gerufen wurde. In ihrem Verhalten hätten sie das „Beste des Christentums“ hochgehalten und mit sachlicher Geduld für ihre Überzeugung gearbeitet, „dass das Gute gewinnt“.
Zu sehr Zweckverband
Christen komme die Aufgabe zu, Hüter des europäischen Menschenbildes zu sein und die Idee von Frieden, Versöhnung und Wohlstand gegen Zynismus und Pessimismus zu verteidigen, sagte der frühere belgische Ministerpräsident, der sich selber gerne zum Auftanken in ein Kloster zurückzieht. Das politisch säkulare Europa sei kein religiöses Projekt, doch die europäische Kultur sei christlich geprägt mit dem ethischen Kerninhalt des unersetzlichen Wertes des Menschen. Dieses Maß in Politik und Wirtschaft einzubringen, sei ein wichtiger Auftrag der Christen. In die tiefe Krise sei die Eurozone deshalb geschlittert, da sie zu sehr ein „Zweckverband“ geworden sei und sich zu wenig als Wertegemeinschaft verstehe. Hinter dem wachsenden Euro-Skeptizismus sieht Van Rompuy neben manch berechtigter Kritik auch eine Kulturkrise: Die zunehmende Individualisierung, die Angst vor dem Anderen und die Minderung konkreter zwischenmenschlicher Beziehungen schwächen alle übergeordneten Ideen. Er rief die Christen auf, angesichts von Nationalismen, Krisen und Flüchtlingsströmen für Solidarität und Versöhnung einzutreten.