In Österreich sind letztes Jahr fast 1400 Ärztinnen und Ärzte mit der universitären Ausbildung fertig geworden. 600 von ihnen sind nicht in Österreich tätig. Die Ärztekammer beklagt, dass es für Gemeinden immer schwieriger wird, Hausärzte zu bekommen.
Ausgabe: 2014/15, Reitböck, Klaus, Steyrling, St. Pankraz, Familie, Beruf
08.04.2014
- Ernst Gansinger
Längst ist es finster geworden. – In der Praxis von Landärztin Dr. Angelika Reitböck in Steyrling brennt noch Licht. Sie muss den Tag mit Büroarbeiten abschließen und hat jetzt auch Zeit zum Interview.
Stark, aber erfüllend
Der Arbeitstag begann um halb acht Uhr in der Früh. Zwei Arzthelferinnen und die praktische Ärztin haben einen starken, aber erfüllenden Tag hinter sich. Als Hausärztin hat sie ein umfangreiches Tätigkeitsfeld: Wunden versorgen, Abzesse behandeln, kleine Eingriffe machen, aus einem Auge einen Fremdkörper entfernen, Kreuzweh lindern, Bluthochdruck abklären, bei Panikattacken helfen ... Dr. Reitböck kann sich in Diagnose und Therapie auf eine breite Ausbildung stützen. Sie ist Fachärztin für Dermatologie und hat Ausbildungen unter anderem in Akupunktur, Notfallmedizin, Warzenabtragungen oder psychosozialer und psychosomatischer Medizin.
Ärzte fehlen
Die Ärztekammer schlug Alarm: Immer mehr Gemeinden suchen verzweifelt Hausärzte. Auch schon Städte wie Wels, Ried im Innkreis oder Leonding haben Probleme, dass sich Hausärzte niederlassen. In Mattighofen hat es seit 2012 acht Ausschreibungen gebraucht, ehe ein Allgemeinmediziner Interesse bekundete. Vor wenigen Tagen hat Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer als Gesundheitsreferent des Landes ebenfalls den Ärztemangel thematisiert. Es fehlen auch in den Spitälern 120 Ärztinnen und Ärzte!
Vorschriften
Trotz des langen Arbeitstages spricht Dr. Angelika Reitböck noch mit großem Engagement. Landärztin sei ein schöner Beruf, erzählt sie. Und der Frohsinn, mit dem sie es sagt, lässt keinen Zweifel, dass sie sich mit (fast) allem, was dazugehört, stark identifiziert. Mit fast allem, denn die zunehmende Bürokratie ist ihr ein nicht ärztlich entfernbarer Dorn im Auge. Die den unternehmerischen Gestaltungs-Spielraum einschränkenden Vorschriften seien auch Gründe, warum sich zu wenig ausgebildete Mediziner/innen als praktische Ärztinnen und Ärzte niederlassen. Dr. Reitböck nennt als Beispiel die Bestimmung, dass Hausärzt/innen eine Hausapotheke nur dann führen dürfen, wenn sich keine Apotheke im Umkreis von sechs Kilometern befindet. Bis vor Kurzem waren es vier Kilometer. In ihrer Nachbarschaft haben wegen dieser neuen Distanz-Vorschrift zwei Ärzte die Hausapotheke aufgeben müssen.
Freiberuflichkeit
Es war nicht von Anfang an geplant, dass die in Bad Schallerbach aufgewachsene Medizinerin praktische Ärztin wird. Sie war Fachärztin am Welser Krankenhaus. Eine Vertretung bei einem praktischen Arzt hat ihr aber so gut gefallen, dass sie sich vor acht Jahren um die frei gewordene Praxis als Gemeindeärztin von Klaus, Steyrling und St. Pankraz bewarb, weil sie Freiberuflichkeit und Eigenverantwortung schätzt. Mehrmals kommt sie auf einen besonderen Lohn der hausärztlichen Tätigkeit zu sprechen: Die Patientinnen und Patienten geben ihr sehr viel zurück – Dankbarkeit, Vertrauen, Lob. Dieses Feedback gebe es in den Krankenhäusern viel weniger. Das ist auch gar nicht möglich, wenn die Patientinnen und Patienten immer kürzere Zeiten im Spital sind – in den letzten 20 Jahren sank die durchschnittliche Dauer um etwa drei auf vier Tage. Diese Spitals-Realität wirke sich auch auf die Anforderungen an Hausärzte und Hausärztinnen aus. „Ich kenne keinen Arzt, der zu wenig Arbeit hat“, sagt Dr. Angelika Reitböck. An den Patienten werde eingespart, sie würden in schlechterem Zustand als früher entlassen.
Zuwendung
Der Erfolg der Medizin hänge auch davon ab, wie sehr sich die Ärztin dem kranken Menschen zuwendet, sich Zeit für ihn nimmt. In Dr. Reitböcks Praxis werden daher die Termine nicht im Takt vergeben, Wartezeiten sind natürlich. Die Ärztin nimmt sich Zeit für die Patienten und deren Beratung. Gut beratene Patienten müssen weniger oft kommen. „Wenn der Patient weiß, worum es geht, ist er selbstbestimmt.“ Nacht- und Wochenend-Dienste teilt sich Dr. Reitböck mit drei Kollegen aus Molln und Leonstein. Ist das Einzugsgebiet für die Praxis in Steyrling schon größer als 100 Quadratkilometer, so wächst es für die Nacht- und Wochenend-Dienste auf das etwa Vierfache.
Familienzeit
Nach dem langen Gespräch gehen in der Praxis die Lichter aus. Dr. Reitböck kommt jetzt endlich zu ihrer Familie, viel zu spät, um die wichtig gewordene Zeit des gemeinsamen Abendessens (der Mann ist auch Arzt, in Kirchdorf) einhalten zu können. Und um mit ihrer zwölfjährigen Tochter den Tag abschließen zu können.
Ärztin und Mutter
Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen ist gerade für Ärztinnen und Ärzte nicht leicht. Dr. Angelika Reitböck blieb als Turnusärztin eineinhalb Jahre nach der Geburt beim Kind zu Hause. Sie wünschte sich, dass an die Spitäler Kinderbetreuungs-Einrichtungen angeschlossen wären. Gerade die jungen Ärztinnen bräuchten dies. Für niedergelassene Ärztinnen wäre es gut, gäbe es weniger Hürden für geteilte Praxen (zwei Ärztinnen/Ärzte teilen sich eine Praxis).
Als Landärztin, die viel Zeit in der Praxis und bei Hausbesuchen verbringen muss, wozu dann noch im Radl die Nacht- und Wochenend-Dienste kommen, ist es natürlich auch eine Herausforderung, alle Erziehungs- und Haushaltsarbeiten gut ein- und aufzuteilen. Mit einer Tagesmutter und den aufeinander abgestimmten Praxis-Zeiten von ihr und ihrem Mann war und ist das möglich.
Dann und wann müssen Wünsche auch zurückgesteckt werden. Die Tochter wollte zum Beispiel ein Musikinstrument lernen. Es gelang nicht, die zeitlichen Möglichkeiten der Familie mit den Angeboten der Musikschule in Einklang zu bringen. „Jetzt hat die Tochter Privatunterricht.“
Dr. Angelika Reitböck, Gemeindeärztin von Klaus, Steyrling und St. Pankraz.