Sein Leben von Grund auf zu ändern, geht nicht ohne Risiko. Verlangt sind oft Entscheidungen mit ungewissem Ausgang. Aber es lohnt sich, wie das Ehepaar Maria und Franz Pichlmann aus Roitham erfahren hat.
Ausgabe: 2014/17, Pichlmann, Anselm Grün
22.04.2014 - Josef Wallner
Gerne und gut hat Maria Pichlmann gekocht. Und sie hat sich gefreut, dass sie ihre kreativen Fähigkeiten einbringen konnte: Ihre Kuchenbuffets waren weit und breit bekannt und für ihre – stets neuen – Schmankerl erntete sie viel Lob und Bewunderung. „Ich glaube, die Maria hat 147 Kochbücher“, meint ihr Mann Franz lachend. Die beiden sitzen in der Gaststube ihres Gasthauses – die Tische um sie sind leer. Sie haben nach 34 Jahren den Betrieb stark eingeschränkt, so gut wie gesperrt: aber nicht wegen ihres Alters. Vor fünf Jahren – damals war Maria Pichlmann 50 Jahre alt – musste sie ins Krankenhaus. Die Innenwand einer Hirnarterie war geplatzt. Der behandelnde Arzt war nicht gerade feinfühlig: „Tun‘S nur so weiter, dann fallen‘S in der Küche bald einmal tot um.“ – „Anfangs war ich wütend, aber ich spürte, dass er recht hatte. Denn innerlich fragte ich mich schon dann und wann: Soll das alles in meinem Leben gewesen sein?“
In der Tretmühle
Arbeiten von früh bis spät. Der Familienbetrieb verlangte jedem Mitglied alles ab: „Der Franz war im Stall, ich war oft noch nicht einmal mit dem Stillen fertig, sind in der Früh schon die ersten Gäste zum Stammtisch gekommen.“ – Hochzeiten, Begräbnisse, Geburtstagsfeiern, Buffet am Sportplatz. An vielen Wochenenden haben die Wirtsleute kaum ein paar Stunden geschlafen. „Das Erfolgserlebnis, dass die Leute gekommen sind und zufrieden waren, hat uns beflügelt. Wir haben es gerne gemacht,“sagt Franz: „Der Erfolg war für uns alles.“ – Sie konnten investieren in das Gasthaus, in einen neuen Stall, vergrößerten die Landwirtschaft und kauften ein weiteres Haus. Aber der Preis war hoch. „Für uns selbst und unsere Beziehung ist keine Zeit geblieben.“ Auch nicht für die drei Kinder. „Wenn einmal nichts los war, wollte man nur schlafen.“ – So würde das Ehepaar heute noch leben, hätte nicht jener Arzt im Krankenhaus die Wirtin mit seiner direkten Art aus der Bahn geworfen.
Schwieriger Neueinstieg
Zurück aus dem Spital erklärte Maria Pichlmann ihrem Mann, dass sie das bisherige Leben körperlich nicht mehr schafft. Und sie wollte auch nicht mehr so weitermachen. Dann begann eine schwierige Zeit – für jeden Einzelnen von ihnen und für ihre Partnerschaft. Quälend lange Monate: „Der Franz hat das überhaupt nicht verstanden. Er hat geglaubt, dass ich von ihm weg will. Aber darum ging es überhaupt nicht. Ich brauchte eine berufliche Veränderung.“ Anfangs hatte Franz, der Wirt mit Leib und Seele, noch die Hoffnung, dass seine Frau die Rückkehr in ihren erlernten Beruf als Krankenschwester nicht schafft. „Auf eine in deinem Alter werden sie warten“, meinte er – ehrlich, wenn auch wenig einfühlsam. Es war wirklich schwierig. Aber eines Tages kam ein Anruf vom Klinikum Wels. Am Karfreitag 2010 absolvierte sie einen Probetag auf der Palliativstation: „Da wusste ich, das ist das Meine.“ Ostern war für sie eine echte Auferstehung. Trotz aller Begeisterung verlangte ihr der Wiedereinstieg in den alten Beruf viel ab: der Computer, neue Verbands- und Pflegetechniken, die Last der Verantwortung beim Nachtdienst. Auch das „Zurückfahren“ des Gasthaus-Betriebs gestaltete sich nicht einfach. Es war nochmals ein hartes Ringen. „Ich musste konsequent Nein sagen lernen.“ Heute haben sie zweimal wöchentlich geöffnet und schenken lediglich Getränke aus: zum Frühschoppen am Sonntag und einmal für die Senioren.
Schritt mit ungewissem Ausgang
Viel hat Maria Pichlmann in der Zeit der Ungewissheit gebetet. Der Glaube war ihr immer wichtig. Selbst wenn sie erst spät ins Bett gekommen ist, stand sie in der Früh zur Messe auf. In der Zeit der Entscheidung wurde ihr der Glaube zum wirklichen Halt. Sie hat in der Bibel gelesen, vor allem im Alten Testament. „Bevor ich dich gebildet habe im Mutterschoß, habe ich dich geheiligt, spricht der Herr.“ Worte wie diese haben ihr Kraft gegeben. „Irgendwie bin ich mir wie Abraham vorgekommen, der im Alter noch seine Heimat verlassen musste und nicht wusste, was dabei herauskommt.“ Auch die Bücher von Anselm Grün haben ihr sehr geholfen. Und in der Stille und Ruhe hat sie Kraft geschöpft. Sie ist mit einem großen Gottvertrauen in diese turbulente Lebensphase gegangen. Die Hoffnung, dass eine neue Tür aufgeht, hat sie nie verloren. Die Wochen und Monate, in denen alles planlos war und sie nicht wusste, ob sich die Schwierigkeiten noch einmal zum Guten wenden werden, redet Maria Pichlmann dennoch nicht klein. Heute sagt sie: „Ich hätte nie geglaubt, dass es so gut ausgeht. Ich bin für meinen Entschluss reich beschenkt worden.“ Und was für sie das Schönste ist: Auch ihr Mann Franz ist mit der neuen Situation mehr als zufrieden. „Wir haben so viel an Lebensqualität gewonnen, für uns selbst, für uns beide und für die Enkelkinder.“ – Jetzt erst sehen sie, worauf es ankommt, sagen sie lächelnd. Und man glaubt es ihn gerne.
Die Schmerzen unerfüllter Lebensträume
Nach ihrem Ausstieg aus dem Wirthausbetrieb arbeitete Maria Pichlmann auf der Palliativstation im Klinikum Wels der Kreuzschwestern. Zurzeit ist sie bei den pflegebedürftigen Ordensschwestern tätig. Die Erfahrungen in der Begleitung Sterbender bestätigen ihr immer wieder, dass ihr Entschluss, das Leben zu ändern, richtig war. Manchmal, so erzählt sie, wundert man sich, dass Schmerzmittel nicht so richtig greifen. Kommt man dann mit diesen Patienten in ein ehrliches, vertrauensvolles Gespräch, öffnen sie sich und oft bricht es dann auf: wie sehr sie nicht verwirklichten Ideen, Wünschen und Sehnsüchten nachtrauern. „Warum habe ich nicht, hätte ich doch, wäre ich noch ...“ – „Die größten Schmerzen, für die es kein Medikament gibt, sind unerfüllte Lebensträume.“