Der Weg mit Ing. Rudolf Haunschmied durch Gusen und St. Georgen ist ein Weg des Erinnerns an eine durch den Alltag verdrängte grausame Geschichte. Haunschmied dient dem Gedenken für mindestens 37.000 Menschen, die in den Konzentrationslagern Gusen I, II und III zu Tode gekommen sind.
Ausgabe: 2014/22, Haunschmied, Gusen, St. Georgen, Mauthausen, Konzentrationslager
28.05.2014
- Ernst Gansinger
Das Gras ist drübergewachsen. Nur wenig von damals steht noch. Wo einst das Wachpersonal untergebracht war, werden Autos gehandelt. Wo Menschen misshandelt wurden, werden Geschäfte gemacht. Der Eingang zum Todesstollen „Bergkristall“, in dem Tausende Häftlinge bei der Fließband-Fertigung von Flugzeugteilen geschunden wurden, ist abgesperrt. Die Natur kann sich entfalten, wo einst die Widernatur der Unmenschlichkeit herrschte. Dann und wann aber gibt es in der Landschaft Hinweise, Denkmäler, Mahn-Tafeln. Etwa das Straßenschild „Marcel-Callo-Weg“ über dem Stollen, in dem sich der selige Marcel Callo zu Tode schinden musste.
Gedenkdienst
Das Gedenkdienst-Komitee Gusen hat sich dem Erinnern verschrieben. Ein Gründungsmitglied ist der in St. Georgen an der Gusen aufgewachsene Ing. Rudolf Haunschmied. Seit seiner Jugendzeit erforscht er unermüdlich die Geschichte des Nationalsozialismus in der Region. Das Komitee reicht durch seine Erinnerungs- und Bewusstseinsarbeit Hände nach außen – den Opfern und ihren Nachfahren – und nach innen – den Österreicher/innen. Ihnen sollen sich Zugänge im baulichen (etwa beim Stollen „Bergkristall“ für das Gedenken) und im übertragenen Sinn (für ein Gedenk-Bewusstsein) öffnen.
In der Hölle
Obwohl der Konzentrationslager-Komplex von Gusen etwa doppelt so groß wie jener von Mauthausen war und in Gusen mehr Menschen ums Leben kamen als im KZ Mauthausen, blieb das KZ Gusen lange Zeit nur eines der Nebenlager Mauthausens. Doch in Gusen verfolgte die SS wirtschaftliche Interessen mit dem hochwertigen Granit. Es gab einen Bahnanschluss. Als der Krieg lange dauerte, wurde der Zweck „Vernichtung durch Arbeit“ vom Steinbruch auf eine industrielle Rüstungsproduktion über und unter der Erde (z. B. für Flugzeugrümpfe von Düsenjägern) umgestellt. Das KZ Gusen war die Hölle! Jüdische Gefangene überlebten im Lager Gusen II kaum drei Wochen.
Wirtschaftliches Interesse
Nach dem Krieg wechselte die Gier nur die Seiten – die Sowjetunion betrieb Teile der Granitindustrie in Gusen bis 1955 weiter und baute die anderen Industrieanlagen ab. Ein öffentlicher Gedenk-Zugang wäre dem im Weg gestanden. Die Gedenkkultur sollte im ehemaligen Mauthausen-KZ konzentriert werden. Nach dem Abzug der Besatzungsmacht änderte sich am Profitinteresse nichts. Das Gedenk-Interesse unterlag erneut. Der Staat Österreich wollte durch den Verkauf der Gründe, auf denen KZ-Anlagen waren, verdienen. Italienische Überlebende des KZs Gusen haben ein zentrales Areal gekauft und so den Abtransport des Krematoriums nach Mauthausen verhindert. Italienische Architekten bauten hier 1965 das Memorial Gusen. 2004 wurde daneben das Besucherzentrum eröffnet. Das Kunstprojekt „Audioweg Gusen“ (2007) ermöglicht, im Areal den Opfern nachzugehen. Das Gedenkdienstkomitee hat zu all dem viel beigetragen.
Callo und Gruber
Dies erzählend, verknüpft Haunschmied die Geschichte mit der Gegenwart. Im Memorial erinnert eine Gedenktafel an Marcel Callo und Johann Gruber. Mit Blick auf sie spannt er den Bogen vom Beginn des Gedenk-Engagements weniger hin zu einem Gedenk-Bewusstsein vieler in der Region (z. B. Papa-Gruber-Kreis). Nach der Seligsprechung von Marcel Callo forschte Rudolf Haunschmied zum Leben des KAJ-Aktivisten Callo und hatte Kontakt zu Veteranen des französischen Widerstands. Sie machten ihn aufmerksam auf den Priester Johann Gruber, der für seine Mithäftlinge ein Heiliger der Zuwendung war. Inzwischen haben Haunschmied und das Komitee viele Gedenk- und Denk-Stücke zum KZ-Komplex gesammelt.
Zwei Welten
Aber auch die andere – völlig aufs Heute bezogene – Welt existiert. Auf dem Rundgang zu markanten NS-Stätten fühlt sich eine Frau durchs Fotografieren in ihrer Privatsphäre gestört. Sie wohnt in einem der noch existierenden Häuser aus der KZ-Zeit. Dass das tausendfach ausgelöschte Private dazu drängt, das Leben nicht nur privat zu verstehen, ist noch nicht allgemeines Bewusstsein.
Ing. Rudolf Haunschmied
Rudolf Haunschmied ist eine zentrale Persönlichkeit des Gedenkdienst-Komitees Gusen. Dieses bemüht sich um eine Gedenkkultur zum NS-Terror in der Region. So setzt sich das Komitee auch für einen adäquaten Denkmalschutz bezogen auf die Reste von NS-Bauten der Konzentrationslager von Gusen ein, ebenso für die Zugängigkeit zur ehemaligen Flugzeugfabrik B8 „Bergkristall“, Gusen II.