Es geht nicht bloß um schüchternes Händchenhalten – im Hohelied finden sich Erotik pur und Leidenschaft. Und doch ist es Teil der Bibel. Die Bibelpastorale Studientagung des Linzer Bibelwerks in Schloss Puchberg hat sich mit diesem faszinierenden, aber wenig bekannten Buch des Alten Testaments beschäftigt.
Ausgabe: 2014/35, Hohelied, Liebe, Studientagung
26.08.2014 - Josef Wallner
In den gottesdienstlichen Lesungen führt das Hohelied ein Aschenputtel-Dasein. Sonntags wird es nie gelesen, innerhalb des zweijährigen Wochenzyklus kommt es einmal vor und ein weiteres Mal beim Gedenktag von einigen Heiligen Frauen. Darum ist die Reaktion auch nicht überraschend, wenn man bei der Bibellektüre darauf stößt: Was, das steht in der Bibel? – „Deine Brüste sind wie zwei Kitzlein, wie die Zwillinge einer Gazelle. Wenn der Tag verweht und die Schatten wachsen, will ich zum Myrrhenberg gehen, zum Weihrauchhügel. Alles an dir ist schön, meine Freundin ...“ Ja, so steht es in der Bibel, im vierten Kapitel, Verse fünf bis sieben des Hohelieds. Elisabeth Birnbaum, Projektmitarbeiterin für Altes Testament an der KTU Linz, erschloss den rund 100 Teilnehmer/innen der Tagung Entstehung und Botschaft des Hohelieds: Es feiert auf poetische Weise die erotische und leidenschaftliche Liebe, es verwendet dabei Vergleiche mit der Natur und greift die Liebeslyrik Mesopotamiens und Ägyptens auf. „Das Hohelied mit seinen überbordenden sprachlichen Bildern lädt ein, in den Raum der Liebe einzutreten“, so Birnbaum. Die große Streitfrage, ob das Buch von der menschlichen Liebe handelt oder es im übertragenen (allegorischen) Sinn die Liebe Gottes zu den Menschen beschreibt, ist überholt. Die Päpstliche Bibelkommission hält unmissverständlich fest: Die menschliche Liebe ist die erste Bedeutung, aber sie ist offen für jede andere Form der Liebe – selbstverständlich auch für die Liebe Gottes zu jedem einzelnen Menschen und zu seinem Volk.
Mit Kopf und Herz
In diesem Sinn betont Birnbaum: „Es geht um die eine Liebe. Das Schillernde zwischen menschlicher und göttlicher Liebe, dieses Hin und Her trägt zur Faszination des Hohelieds bei.“ Und die Referentin führt aus: das Hohelied wertet die menschliche, erotische Liebe auf, weil man mit denselben Worten auch über die göttliche Liebe sprechen kann. Das Hohelied hilft, leidenschaftlicher über Gott zu sprechen. Birnbaum ortet oft eine recht blutleere, abstrakte Rede über Gott. Die menschliche, leidenschaftliche Liebe und die göttliche leidenschaftliche Liebe gehören für sie zusammen. Sie warnt aber, im Hohelied alles mit dem Kopf verstehen zu wollen und verweist auf Bernhard von Clairvaux, der gesagt hat: Ein Kuss wird verständlicher aufgedrückt als ausgedrückt. Für das Verständnis des Hohelieds heißt das: „Es will uns erfahren lassen, was Liebe in all ihren Facetten bedeutet.“
Zur Sache
Die Liebe reinigen
Die Psychoanalytikerin Prof. Dr. Rotraud Perner referierte im Rahmen der Bibelpastoralen Studientagung 2014 im Bildungshaus Schloss Puchberg. Die Weltgesundheitsorganisation warnt, dass den Menschen die Fähigkeit sich einzufühlen verloren geht. Natürlich ist Liebe ein Zustand, der einem das Herz öffnet, sie ist aber nicht bloß ein Gefühl. Liebe kann man auch lernen, betont Perner, und oft braucht es dazu den Weg der Reinigung, damit man sich dem anderen öffnen kann.
Die aktive Rolle der Frau
Im Hohelied ist die aktive Rolle der Frau auffallend, macht Dipl.-Theol. Dieter Bauer vom Katholischen Bibelwerk Stuttgart aufmerksam. Im Gegensatz zur gesellschaftlichen Praxis übernimmt die Frau eine bestimmende Rolle. Als Idealbild hat es offensichtlich das partnerschaftliche Verhältnis zwischen Mann und Frau gegeben.
Liebe im Garten
Im Hohelied ist mehrmals vom Garten die Rede. Der Begriff schlägt eine Brücke zum Paradies-Garten im Buch Genesis. „Durch die Liebe kommt man zurück ins verlorene Paradies“, erklärt Elisabeth Birnbaum.