Die Tage vor Weihnachten vor 30 Jahren. Österreich schaut gebannt nach Hainburg in die dortige Au. Naturschützer/innen und Polizisten stehen einander gegenüber. Es kommt zu einem gewaltsamen Polizeieinsatz. Doch dann ist plötzlich Weihnachtsfriede.
„Es geht längst nicht mehr nur um Umweltschutz und Arbeitsplätze. Es geht auch darum, welche Chancen hat der Bürger, gehört zu werden? Wie demokratisch ist unsere Demokratie?“ – So leitete die KirchenZeitung die große Reportage zu den Vorgängen in der Hainburger Au im Dezember 1984 ein. Im Text kommen dann vier „Kirchliche“ zu Wort, die damals mit den tausenden Menschen die Au vor den Baggern schützten: Pfarrer Blasche von Schwechat, der die erste Messe in der Au gefeiert hat. Zwei Franziskaner-Patres, die ihre Sympathie für die Aubesetzer/innen durch etliche Tage Au-Anwesenheit bekundeten. Und Käthe Recheis, die bekannte Kinderbuchautorin und Aktivistin für die Rechte indigener Völker.
Das Dass
Käthe Recheis empfängt mich zum Hainburger Erinnerungsgespräch in ihrer Wiener Wohnung. Wie es sich für eine Ur-Umweltschützerin gehört, bei sparsam angedrehtem Licht, auch wenn es draußen schon fortgeschritten dämmert. Es ist ein Dezember-Abend, vielleicht sogar auf den Tag genau 30 Jahre nach ihrer ersten Au-Protest-Nacht. Tagebuch-Aufzeichnungen über die Geschehnisse damals hat sie nicht; in der Erinnerung sind ein paar Tage Ungenauigkeit nicht wichtig. Das Dass ist wichtig: Dass sich damals diese Bewegung gebildet hat. Dass Junge und Ältere zusammen den Protest getragen haben. Dass sich der Gedanke, die Schöpfung braucht Schutz, so eine Gasse durch die Beton-Logik gebahnt hat, wonach den ins Treffen geführten wirtschaftlichen Notwendigkeiten nicht zu widersprechen sei.
Das Wie
Käthe Recheis kommt ins Schwärmen: Natürlich auch, dass das Engagement in der Au so kurz vor Weihnachten 1984 nachhaltige Früchte getragen hat, weil es gelang, ein Stückchen Fluss und Au zu retten. Aber ihr Schwärmen gilt genauso dem Wie: „Es war ein unglaubliches Gemeinschaftserlebnis. Die Atmosphäre war so friedlich. Alle haben zusammengeholfen. Als wir, Friedl Hofbauer (die Kinderlyrik-Staatspreisträgerin ist heuer im März 90-jährig gestorben, Anm. d. Red.) und ich mit einem der Autobusse zum zweiten Mal in die Au gefahren sind, hat die Polizei die Autobusse schon weit vor dem Ziel aufgehalten. Da hieß es, entweder zurück nach Wien fahren oder zu Fuß weitergehen. Wir sind natürlich weitergegangen. Aber die Bauern der Umgebung sind uns zu Hilfe gekommen.“ Die Au wurde schließlich mit Traktoren erreicht. Schon als Käthe Recheis und ihre Freundin Friedl Hofbauer das erste Mal, es war ein finsterer Abend, in die Au wollten, hatten sie ein besonderes Erlebnis. Für die damals 56-jährige Recheis und die 60-jährige Hofbauer war am Zaun Schluss. Sie konnten nicht wie die Jungen einfach drüberklettern. So suchten sie am Zaun entlang nach einem Durchschlupf und wurden plötzlich von Polizisten mit Taschenlampen angeleuchtet. Die Polizisten waren verblüfft, als sie in die freundlichen Gesichter der Damen blickten. Einer von ihnen meinte staunend: „Sogar biedere Hausfrauen demonstrieren!“
Das Deswegen
Sogar die biederen Hausfrauen! – Darüber muss Käthe Recheis heute noch schmunzeln. „Man konnte gar nicht anders, irgendwie hatte man das Gefühl, da muss man dabei sein. Man darf die jungen Leute nicht allein lassen“, erinnert sich Recheis. Die „biederen Hausfrauen“ wollten dabei sein, „damit unsere Enkerl auch noch einen fließenden Fluss ohne Verbau erleben können“. Und die „biederen Hausfrauen“ haben sich wie die Jungen benommen, wobei allen die Friedlichkeit ihrer Aktionen ein höchstes Prinzip war. „Einmal kamen Cobra-Polizisten, ausgerüstet mit Schildern und Hunden, auf uns zu“, erzählt Recheis. Wir sind weitergegangen und haben begonnen, die österreichische Bundeshymne zu singen. Da sind die Polizisten zur Seite gegangen und haben uns durchgelassen.“ Diese Wirkung der Friedlichkeit hat Käthe Recheis wohl am stärksten im Gedächtnis behalten.
Das Dahinter
„Unsere Erziehung war geprägt von der Ehrfurcht vor der Schöpfung. Es war undenkbar, dass wir als Kinder in eine blühende Wiese laufen, denn die Blüten und die Insekten waren zu schützen. Im Wald waren wir leise. Auf die Berge gingen wir staunend.“ Als sie, von diesem Geist geprägt, viel später einmal, als sie mit Freunden in ihrem Hörschinger Garten saß, bedauerte, dass es kaum noch Frösche im Garten gebe, erntete sie Unverständnis wegen soviel Tier-Bezug: „Der Mensch ist doch wichtig!“
Das Danach
Natürlich ist der Mensch wichtig. Aber er muss im Einklang mit der Schöpfung leben. Man könnte das ein Glaubensbekenntnis von Käthe Recheis nennen. „Mit unserem ausschließlichen Wirtschaftsdenken zerstören wir so viel Schönheit, dazu sind wir nicht berechtigt. Wir nehmen es den Menschen nach uns und sägen an unserem eigenen Ast.“ So war die Ausgangslage für das Engagement der vielen und gerade auch von Käthe Recheis damals vor 30 Jahren in der Hainburger Au. Ein Engagement, das sehr viel in Kauf genommen hat und sich lieber schlagen und anzeigen ließ, als schutzbedürftige Natur Baggern zu überlassen. Als dann am 22. Dezember 1984 die Regierung einen Weihnachtsfrieden verkündete, war bei den Hirten auf dem Felde, nein in der Au, ein großes Fest, ein großes Hallo, ein Halleluja, das Joop Roeland in die Weihnachtsmette in der Au einband. Die einfachen Menschen, die Hirten in der Hainburger Au, haben als Erste die Frohe Botschaft der friedlichen Weihnacht erfahren. Und auf dieser Botschaft wuchs, was 1996 schließlich in die Einbindung der Hainburger Au in den Nationalpark Donau-Auen mündete, münden konnte, weil kein Kraftwerk gebaut wurde.
Die Lehre
Das kann ein Vorbild auch heute sein: Aktiver, friedlicher Widerstand kann Erfolg haben. Er ist Demokratie-wichtig.
Im Zeitraffer
Geschichte eines Widerstands
Anfang Dezember 1984: Positiver Abschluss des stark kritisierten behördlichen Verfahrens für die Errichtung eines Wasserkraftwerkes in der Hainburger Au.
8. Dezember: Die Österreichische Hochschülerschaft ruft zum Sternmarsch in die Au auf. 8000 Menschen nehmen teil. Einige hundert bleiben in der Au und erzwingen die Einstellung der Rodung. Die Au wird zum Sperrgebiet erklärt, doch hunderte Auschützer/innen bleiben. Auch Priester wie Schwechats Pfarrer Blasche sind an der Seite der Au-Aktivist/innen.
16. Dezember, Abend: Etwa 4000 Menschen feiern in der Au Gottesdienst.
19. Dezember: Die Regierung gibt den Befehl zum Polizeieinsatz. Etwa 800 Polizisten gehen teilweise mit Schlagstöcken und Hunden gegen 3000 Aubesetzer vor. Am Abend dieses Tages demonstrieren dagegen in Wien 30.000 bis 40.000 Menschen.
21. Dezember: Nach Protesten stoppt die Regierung die Rodung.
22. Dezember: Bundeskanzler Fred Sinowatz verkündet einen Weihnachtsfrieden. Tausende Menschen verbringen die Weihnachtsfeiertage in der Au.
24. Dezember: Der Hochschulseelsorger Joop Roeland feiert mit tausenden Menschen in der Au die Mitternachtsmette.
29. Dezember: Die Regierung sagt, weiterhin auf Rodungsarbeiten verzichten zu wollen.
Jänner 1985: Der Verwaltungsgerichtshof verbietet bis auf weiteres die Rodung. Die Bundesregierung verordnet sich eine Nachdenkpause.
Seit 1996 ist die Hainburger Au Teil des Nationalparks Donau-Auen.