400 Kinder und Jugendliche sind letztes Jahr nach Österreich geflohen.
Ausgabe: 1998/39, Asyl, Jugendliche
24.09.1998 - Hans Baumgartner
400 Kinder und Jugendliche sind letztes Jahr alleine nach Österreich geflohen. Nach internationalen Verträgen und österreichischen Gesetzen müßten minderjährige Asylanten einen besonderen Schutz genießen. Davon kann nicht die Rede sein.Vergangene Woche startete das Kinderhilfswerk UNICEF und die Asylkoordination eine gemeinsame Aktion zugunsten minderjähriger Flüchtlinge. „Bei jenen Kindern und Jugendlichen, die ohne Begleitung erwachsener Angehöriger nach Österreich fliehen, handelt es sich um eine besonders schutzwürdige Gruppe. In der österreichischen Asylpraxis wird das nicht so gesehen“, bedauert Heinz Fronek von der Asylkoordination. Vergangene Woche präsentierte er eine Studie, in der er versucht hat, dem Schicksal von 178 ohne Begleitung nach Österreich geflohener Kinder und Jugendlicher nachzugehen. Seine Bilanz ist erschütternd: Österreich verletzt internationale Übereinkommen und nationales Recht und stößt damit die ohnedies gesundheitlich und psychisch oft schwer belasteten Minderjährigen in neues Elend. In den meisten Fällen entspricht weder die Unterbringung, noch die rechtliche und psychische Betreuung sowie die Abwicklung der Asylverfahren der UN-Kinderschutzkonvention und den Richtlinien der EU. Die Jugendwohlfahrtsträger, die vom Gesetz her für eine entsprechende Unterbringung und Betreuung sowie für die Rechtsvertretung zuständig wären, kommen ihrer gesetzlichen Verpflichtung nur vereinzelt (am ehesten in Wien und Graz) nach. Anstatt in entsprechenden Betreuungseinrichtungen landen immer mehr minderjährige Flüchtlinge in der Schubhaft. Obwohl es im Fremdenpolizeigesetz ausdrücklich heißt, daß Kinder und Jugendliche „in der Regel“ nicht in Schubhaft genommen werden sollen, befanden sich im letzten Jahr durchschnittlich stets 50 Minderjährige in der Schubhaft. Nicht selten werden minderjährige Flüchtlinge nach zwei, drei Monaten einfach auf die Straße gestellt. „Wenn sie Glück haben“, so Fronek, „landen sie bei der Caritas oder einer anderen Hilfseinrichtung.“ Entgegen der Beteuerungen des Innenministeriums würden Jugendliche auch abgeschoben. Die im Asylgesetz geforderte Überprüfung der allgemeinen Menschenrechtslage im Herkunftsstaat unterbleibt häufig. So wurde in Linz der Antrag eines jungen Irakers, der vor dem Militärdienst geflohen ist, abgelehnt und seine Abschiebung ins Heimatland verfügt Es ist damit zu rechnen, daß dort drakonische Strafen auf ihn warten. „Das Problem der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge wäre bei etwas gutem Willen ohne große Schwierigkeiten humanitär zu lösen. Deshalb wollen wir jetzt die Öffentlichkeit und die Verantwortlichen aufrütteln“, sagt Heinz Fronek. Die Fakten:u1997 flüchteten ca. 400 Kinder und Jugendliche ohne Begleitung nach Österreich. In den vergangenen Monaten ist die Zahl deutlich angestiegen, auch wegen der Kosovo-Krise.u Von den unbegleiteten Minderjährigen erhalten knapp 2,5 Prozent Asyl; die ohnedies niedrige Erwachsenenquote liegt bei sieben bis acht Prozent.u Weltweit sind rund sechs Millionen Kinder und Jugendliche alleine auf der Flucht. Kriege, Verfolgung aus religiösen und ethnischen Gründen, Übergriffe auf die Familien und Hungersnöte sind die Hauptursachen. Kinderspezifische Gründe sind der Verlust der Eltern, Zwangsarbeit, Kinderhandel zum Zweck der Prostitution, sexuelle Ausbeutung oder die Praxis der Verstümmelung weiblicher Geschlechtsorgane.