Am 27. August 1929 wurde in der Sowjetunion der Sonntag abgeschafft und die „Ununterbrochene Arbeitswoche“ eingeführt. Neben wirtschaftlichen Zwängen sollte damit der Religion ein vernichtender Schlag versetzt werden.
Nach der 1928 angeordneten Zwangskollektivierung sowohl der Landwirtschaft als auch der Industrie und des Handels ließ es Stalin nicht nur im wirtschaftlichen Sektor bewenden. So folgte die geistige „Kollektivierung“ und Gleichschaltung der Bevölkerung: Bereits am 8. April 1929 war das Dekret „Über die religiösen Vereinigungen“ erlassen worden. Es bot den Bolschewiken die gesetzliche Handhabe, alles religiöse Leben zu unterbinden.
Aus dem Ruhesessel katapultiert
In diesem Klima von Religionsverfolgung wurde am 27. August 1929 auch das Dekret „Über die ununterbrochene Arbeitswoche“ (nepreryvka) verordnet. Angeblich sollte die damit verbundene Abschaffung des Sonntags die Produktion auf allen Gebieten steigern und alle Kräfte mobilisieren. Ein Parteidichter jubelte: „Die Utopie wurde Wirklichkeit! Die ,Ununterbrochene Arbeitswoche‘ hat uns aus dem Ruhesessel des traditionellen Kalenders katapultiert. Seit der Abschaffung des Sonntags – jenes Symbols schlaftrunkener Verschwendung der Kräfte – wird das Land nun in den Zustand ständiger Anspannung versetzt!“Jemeljan Jaroslawski, der Organisator der antireligiösen Maßnahmen in der Sowjetunion während der 20er Jahre, markierte die wichtige Stellung der „Ununterbrochenen Arbeitswoche“ im ideologischen Kampf gegen den Glauben: Sie sei überaus wichtig und werde „der Religion einen vernichtenden Schlag versetzen“. Der gesamte politische Kontext zeigt also, dass es sich bei der „Ununterbrochenen Arbeitswoche“ nicht allein um eine produktionsorientierte, sondern ebenso – oder sogar: vielmehr – um eine antireligiöse Maßnahme gehandelt hat.
Fünf Arbeitstagen folgt ein Ruhetag
Anfangs zählte die „Ununterbrochene Arbeitswoche“ fünf Tage – vier Arbeitstage und eine Ruhetag. Trotz des Ruhetags sollten Wirtschaft und Landwirtschaft ohne Unterbrechung arbeiten, indem den Produktionsstätten (Fabriken, Bergwerke und Kolchosen) und den einzelnen Zweigen der Verwaltung jeweils unterschiedliche Ruhetage zugewiesen wurden, die jeweils versetzt zueinander lagen. Während also beispielsweise die Baubranche montags arbeitsfrei hatte, brauchten die Arbeiter des holzverarbeitenden Komplexes dienstags nicht zur Arbeit zu gehen; der Handel ruhte mittwochs; für die Stahl-, die Chemie- und andere Industrien gab es spezielle Schichtregelungen; ebenso wurden für Verwaltung und Landwirtschaft spezielle Pläne ersonnen. Lediglich für Schulen und Bildungsstätten gab es unionsweite Ruhetags- und Ferienregelungen. Komplizierte Kalender wurden erarbeitet, aus denen ersichtlich sein sollte (aber nicht ersichtlich war), an welchen Tagen die Arbeiter der einzelnen Produktionszweige zu arbeiten und wann sie arbeitsfrei hatten.Schon nach kurzer Zeit war das Chaos unübersehbar; die Produktionsausfälle und die Verluste in der Landwirtschaft waren enorm. Zunächst konnten die Parteiideologen den Protest aus der Produktion zurückweisen und behaupten, die Mängel seien auf die zu kurze Arbeitswoche zurückzuführen. Als Reaktion darauf wurde die Arbeitswoche auf sechs Tage ausgedehnt (fünf Arbeitstage, ein Ruhetag). Doch zeigten sich auch jetzt die gleichen Mängel und Misserfolge, dass schließlich 1933 auf dem Lande, dann in verschiedenen technischen Bereichen und 1940 endgültig die „Ununterbrochene Arbeitswoche“ in der Sowjetunion wieder abgeschafft wurde.
Ein Jahrzehnt ohne Sonntag
Trotz ihres technischen Scheiterns haben die Bolschewiken mit der „Ununterbrochenen Arbeitswoche“ das erreicht, was vielleicht ihr eigentliches Ziel war: In einem Jahrzehnt ohne Sonntag (von 1929 bis 1940) war bei den Menschen die schon während der ersten zwölf Jahre bolschewistischer Herrschaft manche Hölle (Bürgerkrieg, Hungersnot, Verfolgung, Mord, Verschleppung) durchlitten hatten, das Wissen um den eigentlichen Sinn des Sonntags verloren gegangen: der Sonntag als Ruhetag aller Menschen, der ihnen die Möglichkeit bietet, sich nach freiem Ermessen gemeinsam mit anderen betend im gottesdienstlichen Rahmen zusammenzufinden oder aber kulturellen Bedürfnissen nachzugehen.