Mensch sein heißt auch Fehler machen. Christlicher Glaube sagt mir, dass ich zu dem Mist, den ich gebaut habe, stehen darf und ihn auf dem Acker Gottes hinaustragen soll …
„Das Pferd macht den Mist in dem Stall, und obgleich der Mist Unsauberkeit und üblen Geruch an sich hat, so zieht dasselbe Pferd denselben Mist mit großer Mühe auf das Feld; und daraus wächst der edle schöne Weizen und der edle süße Wein, der niemals wüchse, wäre der Mist nicht da.Nun, dein Mist, das sind deine eigenen Mängel, die du nicht beseitigen, nicht überwinden kannst, die trage mit Mühe und Fleiß auf den Acker des liebreichen Willen Gottes in rechter Gelassenheit deiner selbst. Streue deinen Mist auf dieses edle Feld, daraus sprießt ohne allen Zweifel in demütiger Gelassenheit edle, wonnige Frucht auf.“
Dieses kraftvolle Bild vom Mystiker Johannes Tauler (1300–1361) hilft mir, einen echten geerdeten Versöhnungsweg zu gehen. Er eröffnet sich mir, wenn ich einen Zugang zu meinem Ärger, meiner Wut, meinen Aggressionen finde. Denn diese Gefühle gehören zu meinem Leben. In meiner Aggression liegt der Schlüssel zu meiner Lebenskraft, zu meinem Engagement für mehr Gerechtigkeit auf dieser Welt. Jahrelang habe ich meine Aggressionen unterdrückt, weil ich von Kindesbeinen an gelernt habe, dass ein christlicher Mensch nicht streitet. Konflikten ging ich aus dem Weg, obwohl Jesus eine starke Spiritualität der Konfliktfähigkeit gelebt hat.
Meine Freundin „Wut“
Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Aggression geht auf das lateinische Wort „aggredi = ad-gredi“ zurück, was bedeutet: auf jemanden zugehen, herangehen, in Beziehung treten. Echte, partnerschaftliche, freie Beziehungen zu wagen, heißt auch Fehler zu machen. Ich darf zu meinem Mist stehen und vertrauen, dass sogar daraus Wunderbares wachsen kann, wenn ich ihn nicht verdränge, sondern „auf den Acker Gottes hinaustrage“. Es heißt für mich, mich mit meiner Wut anzufreunden, ihr einen Brief zu schreiben, sie zu fragen, was sie mir sagen will. Denn Ärger, Wut, Aggressionen haben immer einen Grund. Um nicht in der Opferrolle zu bleiben oder depressiv zu werden, brauche ich Ausdrucksformen für meine Wut.
Zu Recht muss unterschieden werden zwischen zerstörerischen und lebensfördernden Aggressionen. Rituale können mir darum helfen, meine Aggressionen zu gestalten. Denn sonst gerate ich in die Spirale der Gewalt und tue mir selber und andern weh.
Faulen Frieden entlarven
Eine christliche Spiritualität der Konfliktbereitschaft, wie sie bei den Mystikerinnen und Mystikern zu entdecken ist, lädt ein, den faulen Frieden zu entlarven. Dabei hilft mir auch das Bild des Zenmeisters Thich Nhat Hanh, der vom „Umarmen meiner Wut“ redet. Nur wenn sie sein darf, verliert sie ihren Stachel, und ich kann durch Malen, Sport, Gartenarbeit, Schreien … Ausdrucksformen finden, um Konflikte zu wagen.
Konflikte und Komplimente
In unserer Gemeinschaft von drei Generationen haben wir jede Woche einen Austausch, wo auch Konflikte angesprochen werden können. Dabei erinnern wir uns, dass wir im Aussprechen von Gegensätzen einer Person unsere Wertschätzung ausdrücken. Sie bedeutet mir etwas, wenn ich mir Zeit nehme, um das Gemeinsame in der Verschiedenheit zu suchen. Zugleich bemühen wir uns, einander Anerkennungszeichen zu schenken. Beides gehört zum Leben: Komplimente und Konflikte!
Zum Innehalten
Meine Aggressionen nicht mehr gegen mich selber richten im Entdecken meiner Lebenskraft die sich darin zeigt und mehr Entfaltung erfahren möchte
Falsche Schuldgefühle loslassen im Verabschieden von der Vorstellung keine Bitterkeit und keinen Unfrieden mehr zu spüren im Leben
Durch Dich Christus Leben in Fülle erfahren im alltäglichen Suchen von Frieden im Unfrieden Freude in Trauer Gelassenheit in Unbeständigkeit Trost in Bitterkeit
Pierre Stutz, in: Versöhnen, Kanisiuskleinschrift, Fribourg 2000.