Am 9. November findet in der Wiener Rupprechtskirche ein ökumenischer Bußgottesdienst zur Erinnerung an das Judenpogrom 1938 statt.
Antijudaismus und Antisemitismus zählen zu den dunkelsten Kapiteln der Kirchengeschichte, die auch 35 Jahre nach der Konzilserklärung „Nostra Aetate“ noch nicht überwunden sind. Die ehrliche Auseinandersetzung mit den Wurzeln des Versagens gegenüber den Juden in weiten Teilen der Kirche ist – auch in Österreich – bis heute die Angelegenheit einiger weniger Engagierter. Vielleicht ist das der Grund, warum Irene Harand – auch in der Kirche – weitgehend vergessen ist. Dabei zählt sie – neben dem vom Judentum konvertierten Priester Johannes Österreicher – zu den wenigen katholischen Persönlichkeiten, die aus Glaubensüberzeugung entschieden gegen Antise- mitismus, Rassismus und Nationalsozialismus aufgetreten sind.Vor 100 Jahren, am 7. September 1900, wird Irene Wedl in Wien in eine großbürgerliche Familie geboren. Politik spielt in ihrer Jugend keine Rolle, von ihrer Mutter aber habe sie „von früher Kindheit an den Sinn für Gerechtigkeit und Menschenliebe eingeimpft bekommen“, schreibt sie später. Mit 19 heiratete sie Frank Harand.
Vorurteile erkannt
In den 20er Jahren kommt Irene Harand mit dem jüdischen Rechtsanwalt Moritz Zalman in Kontakt. Seine selbstlose, oftmals unentgeltliche Arbeit für Kleinrentner und Kriegsgeschädigte, die durch die Inflation oftmals ihre Existenz verloren hatten, überrascht Irene Harand. Sie wird sich dadurch ihrer unterschwellig vorhandenen rassistischen Vorurteile gegen Juden bewusst. Aus sozialem Engagement wird Harand Mitarbeiter von Zalmans Verband der Kleinrentner. Gleichzeitig beschäftigt sie sich von ihrem christlichen Glauben her immer intensiver mit dem Antisemitismus. Anfang der 30er Jahre beginnt Harand, sich vehement gegen den Antisemitismus und für eine Verständigung von Christen und Juden einzusetzen. „Ich bekämpfe den Antisemitismus, weil er das Christentum schändet und geradezu sündhaft ist“, schreibt sie.
Kopfgeld ausgesetzt
Von 1933 bis 1938 gibt Harand die Zeitschrift „Gerechtigkeit“ heraus, in der sie engagiert gegen den Rassenhass der Nationalsozialisten, aber auch gegen den Antisemitismus in der katholischen Kirche eintritt. Sie organisiert Demonstrationen gegen den Boykott jüdischer Geschäfte und gründet gemeinsam mit Zalman die „Weltbewegung gegen Menschennot und Rassenhass“. Die so genannte „Harand-Bewegung“ trat entschlossen gegen Krieg und Rassismus auf und setzte sich für die Schaffung neuer Arbeits- und Konsummöglichkeiten ein. Harand erkannte, dass die wirtschaftliche Not ein Nährboden für den Nationalsozialismus ist. Sie organisierte zahlreiche soziale Aktionen. Auch im Ausland bekannt wurde Harand mit ihren Bücher „So oder So“ (Hakenkreuz oder Gerechtigkeit) und „Sein Kampf. Antworten an Hitler“. Als Antwort auf die Nazi-Ausstellung „Der Ewige Jude“ 1937 in München gibt sie eine Serie von Verschlussmarken mit Porträts bekannter jüdischer Künstler und Wissenschafter heraus. Sie fordert die Menschen auf, diese Marken auf Briefe nach Deutschland zu kleben. Die deutsche Reichspost reagiert mit einem Beförderungsverbot und die Nazis setzen ein Kopfgeld von 100.000 Reichsmark für ihre Ergreifung aus.
Als „Gerechte“ geehrt
Beim Einmarsch Hitlers befindet sich Irene Harand in Paris, wo sie im Auftrag der Schuschnigg-Regierung, der sie politisch nahe stand, für ein unabhängiges Österreichs wirbt. Die Flucht ihres Mitstreiters Moritz Zalman endet 1938 in Feldkirch; 1940 wurde er im KZ Sachsenhausen ermordet. Harand ging ins Exil in die USA, wo sie die Emigrantenorganisation Austrian Forum aufbaute. 1969 verleiht ihr die jüdische Gedenkstätte Yad Vashem den Status einer „Gerechten unter den Völkern“. Dadurch auf sie aufmerksam gemacht, verleiht ihr Österreich zum 70. Geburtstag das Goldene Ehrenzeichen der Republik. Von ihrem Tod 1975 nimmt in Österreich niemand Notiz. Seit zehn Jahren trägt ein Gemeindebau in der Judengasse in Wien ihren Namen – ohne Gedenktafel. Es wäre hoch an der Zeit, dass die Kirche Österreichs dem Beispiel dieser Frau, die aus tiefster Glaubensüberzeugung einen einmaligen, aufopfernden Kampf gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit geführt hat, mehr Aufmerksamkeit schenkte.
Ausführliche Information über Irene Harand in der Zeitschrift „Gedenkdienst“ (3/2000). Zu bestellen: Gedenkdienst, Treitlstraße 3, 1040 Wien; Mail:gedenkdienst@gedenkdienst.at