Kommentar von Walter Achleitner und Hans Baumgartner
Echtes Trauerspiel und Nicht begriffen
Ausgabe: 2000/47, Meinung
21.11.2000
Echtes Trauerspiel
Kasperltheater oder Trauerspiel – das ist die Frage über den Unterhaltungswert des Stimmenzählens in den USA. Dass nun Gerichte entscheiden, ob Wählerstimmen gezählt werden dürfen oder nicht, löst ebenso transatlantisches Kopfschütteln aus wie die Tatsache, dass ein Sechsjähriger hingerichtet werden soll. Denn so unterentwickelt ist die Intelligenz Johnny Paul Penrys, der seit mittlerweile 19 Jahren auf die Todesspritze warten muss. Ein grober Verstoß gegen Menschenrechtsstandards wäre seine Hinrichtung, angeordnet von George W. Bush, dem wahrscheinlichen Sieger im Rennen um das Weiße Haus. Das echte Trauerspiel ereignet sich jedoch im Schatten des Wahlkrimis: Seit dem Wahltag ist die Hinrichtungswelle in Texas voll angelaufen, wo noch nie so viele Menschen getötet wurden wie unter Bush in diesem Heiligen Jahr.
Nicht begriffen
„In dieser Stunde, in der uns die Trauer zusammenführt, stellen wir alles Trennende zurück“, sagten Kardinal Schönborn und der evangelische Bischof Sturm zu Beginn des Gottesdienstes für die Opfer von Kaprun im Salzburger Dom. Gemeinsam fanden sie berührende Worte der Anteilnahme, der Trauer und des Trostes. Gemeinsam zündeten sie als Zeichen der Hoffnung die Osterkerze an. Sie taten das, was von Christen in dieser Stunde erwartet werden darf: gemeinsam mit den Betroffenen gehen und gemeinsam Zeugnis von der Hoffnung auf das Leben jenseits des Todes ablegen. Traurig, dass der Salzburger Erzbischof das nicht begriffen hat und trotz vieler Bemühungen um eine ökumenische Trauerfeier auf einer katholischen Messe bestanden hat.