Am Abend des 25. September 1944 hielt vor dem Haus Nr. 7 in der Linzer Klammstraße ein Gestapowagen, um Camilla Estermann zu holen. Die Rentnerin war beobachtet worden, wie sie einem französischen Kriegsgefangenen Milch gegeben hatte. Camilla Estermann gestand unter Folter noch ähnliche „Vergehen“. Was unter den Augen des Glaubens eine Tat christlicher Nächstenliebe ist, war aus der Sicht der Mächtigen von damals ein wehrkraftzersetzender Akt. Estermann bezahlte die Milch mit ihrem Leben.
Auf rohen Fichtenstangen geheftet fand sich das Bild Camilla Estermanns neben den anderen Bildnissen oberösterreichischer Blutzeugen letzten Freitag im Linzer Dom. Camilla Estermann steht heute im Buch der „Blutzeugen des Glaubens“. Bemerkenswert ist das, weil sie keineswegs eine Frau ohne Ecken und Kanten war. Ordensschwester bei den Redemptoristinnen in Ried war sie, hatte aber Schwierigkeiten mit der Disziplin. Der damalige Bischof Gföllner bezeichnete sie als „Störenfried“ der Gemeinschaft. Sie trat aus dem Kloster aus.
Was die Disziplin betrifft, so mag sie „schwierig“ gewesen sein. Doch ihr Leben musste sie denen gegenüber lassen, für die Disziplin angeblich fast alles war, und die im Gleichschritt ihrer Disziplin unvorstellbare Greuel verbrochen haben. Camilla Estermann wagte den Schritt aus der Reihe. Die Liebe stellte sie über die Disziplin.