Berichte aus 23 Ländern, dass Schwestern von Priestern sexuell missbraucht werden, wecken Emotionen. Seit Tagen werden Ordensfrauen auch in Österreich auf diese Vorwürfe angesprochen.
Jahrzehnte ihres Ordenslebens hat Schwester B. in einem zentralafrikanischen Land gelebt. Seit kurzem ist sie wieder in Europa. Dass sie jedoch auf so schmerzliche Weise mit ihren Erfahrungen erneut konfrontiert wird, habe sie sich nicht gedacht. Gefragt, ob auch sie während ihrer Jahre in Afrika von sexuellem Missbrauch von Priestern an Nonnen gehört habe, ringt sie spürbar um Worte: „Ich möchte darüber nicht reden. Niemand kennt die Hintergründe. Die afrikanische Mentalität ist uns hier so fremd. Aber widerlegen kann ich auch nichts!“
Ähnlich hin und her gerissen, reagieren dieser Tage viele Ordensfrauen. Zurückhaltend antworten sie darauf, ob der vom US-amerikanischen „National Catholic Reporter“ (NCR) veröffentlichte Bericht durch ihre Erfahrungen in Afrika oder Asien bestätigt werde. Oft aber heißt es auch, der Inhalt der Veröffentlichung habe nicht überrascht. „Persönlich verstand ich das immer als Einzelfälle. Das hat sich geändert“, sagt eine Schwester, die anonym bleiben möchte, zur Kirchenzeitung.
Solidarität gefordert
Überrascht zeigte sich in Wien Sr. Callista Panachickel. Die Inderin leitet die Missionsschwestern „Königin der Apostel“. Der 830 Mitglieder zählende Orden ist in Indien aber auch auf den Philippinen tätig. Zwei der 23 Länder, die der NCR-Report auflistet. Die Generaloberin, die vergangene Woche zur planmäßigen Visitation in den südostasiatischen Inselstaat abgereist ist: „Ich werde mich vor Ort informieren.“ „Mit diesen Berichten ist viel aufgebrochen“, bestätigt auch Sr. Theresia Sessing, Generalsekretärin der Frauenorden in Österreich. „Wir Frauen dürfen das nicht einfach so stehen lassen. Über Zeichen der Solidarität, die wir von hier aus setzen können, müssen wir jedoch erst beraten“, sagt Sr. Theresia.
Würde der Frau
Kaum Zurückhaltung zeigen Ordensfrauen, wenn es um die Frage nach möglichen Hintergründen geht. „Dieses Problem darf nicht isoliert gesehen werden. Es ist vielmehr die schreckliche Auswirkung einer vorherrschenden Abwertung der Frau in der Kirche“, sagt Sr. Maria Petra. Sie arbeitet im römischen Generalat ihrer Kongregation, der 3600 Schwestern in 40 Ländern angehören. „Ordensfrauen werden oft als billige Arbeitskräfte gesehen, von denen man viel verlangen kann. ,Der Kirche dienen‘ wird nicht selten mit ,den Klerus bedienen‘ verwechselt. Ein Problem, das sich allerdings nicht auf Afrika beschränkt.“ Besonders schwierig sei dies für Schwestern in kleinen lokalen Gemeinschaften. In erster Linie Bischöfe in den jungen Kirchen haben für den Dienst in ihrer Diözese Orden gegründet. Und oft liegt aber auch deren Leitung in bischöflichen Händen. „Es gibt Bischöfe, die ihre Schwesterngemeinschaft wie ihre ,Kaffeepflanzung‘ sehen“, sagt Sr. Margarita, die elf Jahre in Zaire tätig war. Die materielle Abhängigkeit von ihrem Gründer ist enorm. Dass auch ihr geistliches Leben von ihm geprägt wird, verschärfe die Lage. Ein Problem, das im Herbst 1994 bei der Synode über die Orden vorgebracht wurde. Seither lässt Rom kaum derartige Neugründungen zu.
Selbstbewusstsein stärken
Schlecht bestellt ist es auch um die Aus- und Weiterbildung der unzähligen diözesanen Frauenorden speziell in Afrika und Asien. Denn im Gegensatz zu großen, international tätigen Gemeinschaften mangelt es ihnen an Erfahrungen und Austausch. „Sie sind oft ihrem Schicksal überlassen“, wird deren Lage von Kennerinnen beschrieben.Demgegenüber können weltweit tätige Orden ihren Mitgliedern oft mehr Sicherheit bieten. Auf ihre größere Unabhängigkeit und den Erfahrungsaustausch wird dabei immer wieder hingewiesen. So verbringen beispielsweise Kandidatinnen aus mehreren Ländern oft gemeinsam die ersten Ordensjahre (Noviziat).
In den Ausbildungsplänen der Frauenorden ist in den letzten Jahren ein Trend zu beobachten: Spezifische Frauenthemen werden immer wichtiger. „Wir müssen unseren Schwestern den Rücken stärken“, erklärt Sr. Pallotti Findenig, Provinzoberin der Wernberger Schwestern. „Frauen müssen sich ihres eigenen Wertes bewusst werden. Auf lange Sicht ist das der effektivste Schutz.“
Ombudsfrau gefordert
Dass es zur skandalösen Enthüllung durch die Medien hatte kommen müssen, ehe Bewegung in die Sache kommt, wird allgemein verurteilt. Dabei wird auch der obersten Behörde für weltweit 820.000 katholische Ordensfrauen Mitschuld eingeräumt. Denn in der „Kongregation für das geweihte Leben“ sind weitgehend Männer tätig – „wie das in Rom halt so ist“, meint eine Ordensoberin achselzuckend. „Eine Ombudsfrau im Vatikan für Opfer von sexueller Gewalt in der Kirche wäre höchst notwendig!“ Aufklärung in Rom erwartet sich auch Sr. Callista Panachickel. Dann, wenn sie Mitte Mai zur Internationalen Vereinigung der Ordensoberinnen fährt und weitere 1982 Generaloberinnen treffen wird.
Zeitraffer:
16. 3. Die US-amerikanische Zeitschrift „National Catholic Reporter“ titelt: „Berichte über Missbrauch – Aids verschlimmert die sexuelle Ausbeutung von Nonnen“. Demnach haben Priester und Bischöfe in 23 Ländern Nonnen zum Geschlechtsverkehr gezwungen.
20. 3. Vatikansprecher Navarro-Valls bestätigt, dass Berichte über Missbrauchsvorwürfe in der Ordenskongregation eingelangt sind. Das „Problem“ beschränke sich auf ein begrenztes geographisches Gebiet. In Zusammenarbeit mit Bischöfen und den Vereinigungen der männlichen und weiblichen Ordensoberen versuche der Vatikan, das Problem zu lösen.