Ausgabe: 2001/17, Kommentar, Meinung, Arbeit, Ruhe, Tag der Arbeit, Arbeitszeit,
24.04.2001
Am Tag der Arbeit ruht die Arbeit. Wie gut! Schließlich wird gerade am Tag der Arbeit auf das Menschenrecht aufmerksam gemacht, dass der Arbeitende nicht ausgebeutet werden darf. Die Nähe des Tags der Arbeit zu den Befreiungsfeiern von den Nazi-Greueln macht deutlich, wie Arbeitsideologie verzerrt werden kann. Die Tore zu den Konzentrationslagern mit dem zynischen Schriftzug „Arbeit macht frei!“ sind gefallen.
Arbeitszeit ist zum kostspieligsten Wirtschaftsfaktor geworden – Arbeit kostet und bringt Geld – ist es wichtig, gerade die Menschlichkeit in der Arbeit hochzuhalten. Nicht nur die Regierung ist unter den Druck des schnellen Arbeitstempos geraten, viele andere längst vorher: Wenn du dich nicht laufend fortbildest, wirst du unter die Räder kommen. Wenn du nicht flexibel genug bist, nicht genug Sprachen lernst, ist kein Platz für dich. Es wird keine Sicherheiten mehr geben, keine Garantien. Rastlos wirst du deinen Chancen nachjagen müssen, die Angst, herauszufallen, nicht mehr mitzukönnen, wird ständiger Wegbegleiter sein.
Wer Ruhe braucht, gerät in den Verdacht, faul zu sein. Wer nicht bereit sein wird, auch in der Nacht und am Sonntag zu arbeiten, ebenso. Das ist die logische Folge eines Denkens, in dem nur die Arbeit zählt – und nicht der Mensch. Wer Zeit für seine Familie haben will, wird sich schämen oder zumindest entschuldigen müssen. Wollen wir das?