Politik soll stillen Helfern statt den lauten Schreiern folgen
Angeblich sind es die Ängste der Bevölkerung, welche die Politik zu immer härteren Maßnahmen in der Flüchtlingsfrage drängen. Doch eine Meinungsumfrage und die Erfahrungen Engagierter zeigen: Die Bereitschaft der Bevölkerung zu helfen wird unterschätzt.
Ausgabe: 2016/05, Politik, Flüchtlinge, Terror, Beutelmeyer, Mair,
02.02.2016 - Matthäus Fellinger
Der Blick in andere Augen, die Begegnung von Mensch zu Mensch, zählt – sagt einer, der der Stimmung in der Bevölkerung von Berufs wegen nachspürt: Dr. Werner Beutelmeyer, Geschäftsführer des market-Institutes. Bei der „Severin-Akademie“ legte er am 16. Jänner an der Katholischen Privatuniversität Linz neueste Umfragedaten vor: Es stimmt. Die Stimmung war schon lange nicht mehr so pessimistisch, aber auch widersprüchlich. Doch immer noch ging die Mehrheit der Österreicher/innen (52 Prozent) eher zuversichtlich und mit Optimismus in das neue Jahr. 40 Prozent sind skeptisch und pessimistisch für die Zukunft.
Keine Festung Europa
Flüchtlingsströme, Terroranschläge, die Kriege in Syrien und im Irak haben sich in das Bewusstsein eingegraben. Das drückt massiv auf die Stimmung. Doch das Misstrauen gilt vorwiegend der Politik in Europa und in Österreich. Man traut der Europäischen Union und den Regierungen der einzelnen Länder nicht mehr zu, dass sie die Probleme in den Griff bekommen.
Das Volk geht etwa mit der „Willkommenskultur“ nicht mehr mit, argumentieren immer stärker Parteien und Regierungen. Doch die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung will nicht, dass Europa zur Festung wird. Das sind Beutelmeyers Ergebnisse: Ordnung ja, Regelungen ja, aber kein Dichtmachen der Grenzen. Das will die Mehrheit: Es muss verhindert werden, dass sich Terroristen mit den Flüchtlingen ins Land einschleusen. Flüchtlinge sollen daher an den Grenzen genau kontrolliert und identifiziert werden. Doch eine überwältigende Mehrheit will auch: Essen und ein Dach über dem Kopf soll jeder Flüchtling bekommen, ob nun sein Antrag genehmigt wird oder nicht.
Die große Mehrheit rechnet nicht damit, dass die Flüchtlingszahlen abnehmen werden. Man rechnet eher damit, dass der Terror näherrückt und nach Österreich kommen könnte. Trotz dieser Besorgnis zeigt die Befragung eine erstaunliche Bereitschaft im Volk, Menschen in Not beizustehen.
Seit einigen Wochen haben Boulevardblätter ihre Stimmungsmache gegen Flüchtlinge verschärft, als hätten sie ein Kippen der Stimmung zum Ziel. Und es beginnt ein Wahlkampf. Da wird der Ton noch rauer.
Probleme mit Verzweifelten
Die Stimmung in der Bevölkerung rund um Flüchtlingsquartiere ist nicht schlechter geworden, stellt Franziska Mair von der Caritas fest. Wenn es am und um den Linzer Bahnhof wiederholt zu Problemen mit randalierenden Flüchtlingen gekommen ist, so handelt es sich um Asylwerber, die von Deutschland zurückgewiesen wurden. Diese haben jegliche Hoffnung verloren. Die Abschiebung vor Augen greifen sie zum Alkohol. Dann „fliegen schon auch die Fäuste“, sagt Mair. Fast immer sind es Auseinandersetzungen von abgewiesenen Nordafrikanern, die in ihrem Frust Aggressionen an Syrern und Irakern auslassen, weil diese bessere Chancen haben.
Mair weiß jedoch von keiner einzigen Beschwerde von den Hunderten, die in den letzten Wochen privat obdachlose Flüchtlinge vom Bahnhof aufgenommen haben. Letzte Woche war sie in einer Mühlviertler Pfarre, weil dort Flüchtlinge kommen sollen. Es gibt viele Fragen, die geklärt werden müssen, doch die Stimmung in der Bevölkerung ist nicht schlechter geworden, meint sie.
Sie sollte daher auch nicht kaputt gemacht werden. Die Schreier sind nicht die Mehrheit, es gibt eine große Zahl von Menschen, die sich im Stillen für die Integration einsetzen, weiß Josef Lugmayr, Leiter von BEZIEHUNGLEBEN in der Diözese. Die Stillen werden in der gegenwärtigen politischen Debatte wenig wahrgenommen. Da werden Ängste eher geschürt, als dass man motiviert.
Begegnung verändert
Es ist die Begegnung von Mensch zu Mensch, die vieles verändert, meint Meinungsforscher Werner Beutelmeyer.
Ob sich die Politik nicht mehr an positiven Erfahrungen orientieren sollte? Beutelmeyer verlässt für einen Moment die wissenschaftliche Ebene und lässt sein Herz sprechen: „Wir sollen die Situation nicht ausnutzen, sondern helfen. Es wäre möglich, die Probleme überwiegend friktionsfrei in den Griff zu bekommen. Da glaube ich an den Menschen.“