Mira Stare ist promovierte Bibelwissenschaftlerin an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Innsbruck und Pfarrkuratorin.
2010 setzte die Bischofskonferenz erste wirksame Maßnahmen, um Gewalt-Betroffenen aus dem kirchlichen Bereich zu helfen und Gewalttaten zu verhindern. Auf Initiative von Kardinal Christoph Schönborn übernahm die ehemalige steirische Landeschefin Waltraud Klasnic die Aufgabe einer Unabhängigen Opferschutzanwältin.
Unter ihrem Vorsitz konstituierte sich die Unabhängige Opferschutzkommission, auch „Klasnic-Kommission“ genannt. Bald darauf beschloss die Bischofskonferenz die Rahmenordnung „Die Wahrheit wird euch frei machen“ (Johannes 8,32) mit Richtlinien gegen Missbrauch und Gewalt. Sie wurde 2021 zum dritten Mal aktualisiert.
Wenn es zu Grenzüberschreitungen kommt, wenden sich Betroffene an eine diözesane Ombudsstelle. Die Diözesankommission prüft die Vorwürfe und schlägt Maßnahmen vor. Die Unabhängige Opferschutzkommission entscheidet über Finanzhilfe und Therapie. Die kirchliche „Stiftung Opferschutz“ setzt die Entscheidung der Kommission um.
Bei begründetem Verdacht wird der oder die Beschuldigte bis zur Klärung dienstfrei gestellt. Laut www.ombudsstellen.at sind von 2010 bis Juni 2025 3.651 Meldungen eingegangen. Finanzhilfe gibt es in 4 Kategorien: 5.000, 15.000, 25.000 und über 25.000 €. In Summe wurden 37,7 Mio. € zuerkannt – 29,8 Mio. Finanzhilfen und 7,9 Mio. für Therapien.
Die meisten Vorfälle betreffen die Zeit vor 1980 (81,2 %). Von 1980 bis 1999 ereigneten sich 16,5 % und von 2000 bis Juni 2025 2,3 % der Übergriffe. Verjährung spielt für die kirchliche Aufarbeitung keine Rolle. Die Mehrheit der Meldungen bezieht sich auf Heime und Betreuungseinrichtungen für Kranke oder Menschen mit Behinderung (61,3 %). Schulen, Internate und
Kindergärten betreffen 21,6 %. Die Meldungen aus Pfarren machen 11,7 % aus, jene aus Klöstern und Orden 1,9 %, sonstige Zusammenhänge 3,5 %.
Knapp die Hälfte der Betroffenen (47 %) meldete Vorfälle sexueller Gewalt, sonst ging es um andere Formen körperlicher oder psychischer Gewalt. Die meisten Betroffenen waren zwischen 6 und 12 Jahre alt (63,3 %).
„Die Wahrheit wird euch frei machen“ – Rahmenordnung für die katholische Kirche in Österreich. Maßnahmen, Regelungen und Orientierungshilfen gegen Missbrauch und Gewalt. 3., überarbeitete und ergänzte Ausgabe 2021. Auch als PDF-Download erhältlich:
https://www.bischofskonferenz.at/behelfehandreichungen/rahmenordnung-gegen-missbrauch-stand-2021
NEU: „Die Wahrheit wird euch frei machen“ –
15 Jahre Unabhängige Opferschutzkommission und Rahmenordnung für die katholische Kirche in Österreich. Herwig Hösele, Rita Kupka-Baier u. a., Leykamverlag 2025, € 25,–
„Verantwortung! Es kann und darf keinen Schlussstrich geben!“ 10 Jahre Unabhängige Opferschutzkommission, Zwischenbilanz und Ausblick. Waltraud Klasnic, Herwig Hösele,
Leykamverlag 2020, € 20,–
„Missbrauch und Gewalt.“
Erschütternde Erfahrungen und notwendige Konsequenzen.
Waltraud Klasnic, Leykamverlag 2013, derzeit vergriffen, Information unter opfer-schutz.at
Der Blickwinkel ändert sich.
Nicht zu viel darüber schreiben. Das galt bis 2010 (besonders in katholischen Medien) als Devise im Umgang mit Berichten von Missbrauch in der Kirche. Spätestens 2010 erkannte man zwar, dass man am Thema nicht vorbeikommt. Aber ganz geheuer war es noch länger nicht. Dass Erzbischof Franz Lackner als Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz im Juni 2025 im Zusammenhang mit Missbrauch den Medien dafür dankte, „dass das ans Licht gekommen ist“, darf als Zeichen gesehen werden, dass sich der Blickwinkel ändert.
In einem ORF-Interview reflektierte der Erzbischof: „Wir haben lernen müssen und dürfen, dass die Wahrheit frei macht. Und dass Vertuschen und Nicht-Wahrhaben-Wollen – was geschehen ist – kein Weg sein kann und kein Weg sein wird.“ Einen gewissen Anteil am Bewusstseinswandel hat wohl auch die Arbeit der Unabhängigen Opferschutzkommission, die auf Anregung Kardinal Christoph Schönborns vor 15 Jahren eingerichtet wurde. Der Bewusstseinswandel ist aber noch nicht abgeschlossen. Solange das Thema nicht aktiv von allen kirchlichen Stellen, Orden, Diözesen etc. behandelt wird, fehlt ein entscheidender Schritt. Papst Franziskus hat einen wesentlichen Schritt angeregt, indem er das Übel des „Klerikalismus“ wiederholt kritisierte. Wo Priester und Ordensleute zusätzlich zu ihrer besonderen Rolle in der Kirche als „wertvollere“ Menschen überhöht werden, unterstützt die „toxische Theologie“ (Ute Leimgruber) Missbrauch und Vertuschung.
Mira Stare ist promovierte Bibelwissenschaftlerin an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Innsbruck und Pfarrkuratorin.
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