Sieben Jahre ist Sr. Katharina Ranseder in Omsk als Pfarr- und Sozialarbeiterin tätig. Gleichzeitig erfährt die gebürtige Oberösterreicherin das Leben in Russland wie eine Glaubensschule.
Nach einem verkürzten Nachtflug, fünf Zeitzonen haben die Stunden verschluckt, fliegen wir der Sonne entgegen. Wenn die silbernen Wolken wieder einmal einen Blick nach unten freigeben, schicke ich auch meine Bitt- und Dankgebete mit für Russland und seine Menschen. Bischof Joseph Wert von Nowosibirsk hatte unsere Gemeinschaft gefragt, ob nicht wir Missionarinnen Christi einen Einsatz in der Seelsorge bei Russlanddeutschen in Omsk übernehmen könnten. Nun, es ist der 13. Mai 1995, fliegen wir fünf Schwestern der Stadt in der westsibirischen Ebene entgegen. Bei meinem Eintritt in die Gemeinschaft vor fast 40 Jahren dachte ich, meinen Platz würde ich in der Arbeit mit Frauen und Kindern im Kongo (Zaire) finden. Doch es kam anders. Statt nach Afrika zu gehen, ging es 1969 mit zwei Mitschwestern nach Kroatien. Wir waren weit und breit die Einzigen, die damals nach Jugoslawien ging. Unser Kommen wurde mit Erstaunen aufgenommen. Schließlich war es gerade unsere Heimat, wohin sich viele als Gastarbeiter auf den Weg machten.
Weinberg und Garten
Von Anfang an hatte ich das sichere Gefühl, in Kroatien am rechten Ort zu sein. Auch deshalb, weil unser Gründer, der Herz-Jesu-Missionar P. Christian Moser, immer davon sprach, bereit zu sein für den Einsatz in einem kommunistischen Land, sobald dies möglich sein sollte. Außerdem war es ein einfaches Leben in einer noch ärmlichen Umgebung. Unsere tägliche Arbeit war geprägt von Pastoralarbeit und Landwirtschaft. Diese gehörte zur Pfarre und sicherte unsere Lebensgrundlage. Es war ein Bei-den-Menschen-Sein – das Leben und den Glauben mit ihnen teilen. Die Gesprächsthemen ergaben sich von selbst: wie es mit dem Weinberg, wie mit dem Gemüse- oder Blumengarten steht oder dem Vieh. Natürlich habe ich in den zehn Jahren – oft zur Genüge – auch meine Grenzerfahrungen gemacht: mit der kroatischen Sprache oder den Mühen mit einer fremden Mentalität, deren Unterschiede ich immer wieder entdeckt habe. Und doch kann ich sagen, dass ich mich in diesem Volk sehr zu Hause gefühlt habe. Inzwischen war ich als Familien- und Altenpflegerin in Deutschland und Österreich tätig, als Bischof Werth um Schwestern für Omsk nachfragte. Ich war gerade 61 Jahre alt – oder jung – und schrieb mein Gesuch an die Gemeinschaft, in die 1,2 Millionen Einwohner zählende Stadt gehen zu dürfen. Die Liebe zum Slawischen, die ich seit meiner Kindheit gespürt habe, und das Interesse, besonders für Russland, waren nicht verschwunden. Viele meiner Gedanken und Gebete waren in der Zwischenzeit dorthin gegangen. Gedanken der Freude und der Dankbarkeit darüber, nun in Sibirien zu sein, begleiteten mein Ankommen und Einleben in Omsk. Sie waren gemischt mit Neugierde und Sorge – bei allem Gottvertrauen – darüber, was wohl alles auf mich zukommen wird.
Lebensgeschichten
Am Tag nach unserer Ankunft, es war ein Sonntag, hatten uns Russlanddeutsche nach dem Gottesdienst in der kleinen Wohnhaus-Kirche herzlich begrüßt. Besonders liebevoll hat sich „Kirchenmutter“ Katja um uns gekümmert. Die 60-jährige Babuschka hatte in der kommunistischen Zeit die Katholiken in Omsk und den umliegenden Dörfern zusammengehalten. Ihre Wohnung war über Jahre geheimer Treffpunkt zum Gottesdienst, wenn Priester aus Litauen oder Kasachstan hierher kamen. Hilfsbereitschaft haben wir in großem Maß von unseren russischen Nachbarn und Bekannten erfahren. Sie erleichtert das Einleben. Wer wäre nicht dankbar für jegliche Hilfe in einem noch fremden Land? Ganz anders, als dies Politik und Propaganda bei uns gezeichnet haben, erlebe ich die Menschen hier jenseits des Urals. Nach und nach habe ich von den Lebensgeschichten unserer Russlanddeutschen erfahren. Ihre leidvolle Geschichte der Deportation, unmittelbar nach dem Einmarsch der Hitler-Truppen in Russland 1941, aus ihren angestammten Gebieten in der Ukraine, der Wolga oder der Krim hierher nach Sibirien. Ich habe mich oft gewundert, wie viel ein Mensch ertragen kann. Selten aber war Bitterkeit zu hören, stattdessen hieß es des Öfteren: „Gott hat uns geholfen.“ Bei diesen Leuten bin ich viel „in die Schule gegangen“, manchmal beschämt – doch froh und dankbar, sie kennen gelernt zu haben.