Nachgeschaut hat noch niemand. Doch Kenner der Krippenszene sind sich ziemlich sicher, dass in jedem der 1.400 Haushalte von Thaur eine Krippe steht.
Thaur, wenige Kilometer östlich von Innsbruck. Fast alle im Dorf haben eine Krippe, aber nicht alle sind „Krippeler“. Krippeler heißen in der Tiroler Mundart jene, deren Herz für Krippen nicht nur in der Advents- und Weihnachtszeit schlägt. Bei echten Krippelern hat die Krippe immer Saison. Sie studieren die Figuren, ihre Fassung in den verschiedensten Farben und die künstlerische Gestaltung der Hintergrundmalerei. Eine echte Wissenschaft eben.
Einer der bekanntesten Thaurer Krippeler ist Franz Frech. Ihm wurde „die Krippe in die Wiege gelegt“, wie er sagt. Schon sein Vater war ein begeisterter Krippenfreund. Während seines Lebens sparte er sich mühsam das nötige Kleingeld für drei Großkrippen zusammen – für jeden Sohn eine Krippe. Doch nicht alle Figuren gab er bei Bildhauern in Auftrag. Als gelernter Tischler versuchte er sich auch selbst im Schnitzen. Stundenlang standen die Kinder beim Vater und schauten beim Entstehen einer Krippe zu.
Jeder Ort hat seine Tradition
Wie ein „Lexikon“ kennt Frech die Lebensdaten wichtiger Bildhauer und wo sie ihre Spuren hinterlassen haben. Dazu gehören auch die Besonderheiten der verschiedenen Tiroler Krippendörfer. Ein Beispiel dafür ist der Krippenboden. In Thaur werden Krippen vor allem mit gefärbtem Sägemehl bestreut, dem sogenannten „Budl“. In vielen anderen Krippendörfern liegt auf dem Krippenboden Moos. Und noch eine andere Besonderheit gibt es in Thaur: die Krippen stehen nur bis zum 15. Jänner. An diesem Tag feiert das Dorf den heiligen Romedius. Der Gedenktag des heiligen Einsiedlers aus einem Thaurer Grafengeschlecht ist im Ort wie eine Wetterscheide. An diesem Tag werden die Krippen abgeräumt. Anschließend beginnt auch hier der Fasching.
Ein echter Krippenboom
Krippen gibt es in Thaur seit rund 200 Jahren. Ihre große Verbreitung „verdanken“ die Krippen einem Verbot. Kaiser Josef II. hat in seinem Misstrauen gegen alles, was der Aufklärung des Volkes zuwiderlaufen könnte, das öffentliche Aufstellen der Krippen verboten. Dagegen wussten sich die Tiroler einen Rat. Sie bauten Krippen im Kleinformat und stellten sie zu Hause in ihren Bauernstuben auf.
Das Leben mit der KrippeHeute herrscht ein echter Krippenboom. Auch an öffentlichen Plätzen werden Krippen aufgestellt. In Thaur aber bestehe dafür keine Notwendigkeit, so Frech. Und zwar deshalb, weil ohnehin in fast allen Haushalten eine Krippe zu finden sei. Der Boom der Krippenfreunde drückt sich auch in Zahlen aus. Allein in Tirol zählen die Krippenvereine rund 6.000 Mitglieder. Als echter Krippeler ist Frech schon Ende September auf Innsbrucks Hausberg, dem Patscherkofel, unterwegs. Dort sammelt er Hirschheiderich. Dieses Kraut dient ihm zur Nachbildung von Bäumen und Sträuchern in seiner Großkrippe. Sie ist zwei Meter lang und ein Meter tief. Für den Aufbau reserviert Frech jedes Jahr die beiden Tage vor dem Heiligen Abend. Auch wenn die Szenerie durch Krippenberg und Hintergrund gleich bleibt – mit den 48 Figuren von Bildhauer Romed Speckbacher (1889-1972) kann Frech die Geschichte der Weihnacht jedes Jahr neu erzählen. Einen Ausschnitt der Speckbacher-Krippe – die über der Geburtsgrotte schwebende Gloriole – zeigt die heurige Weihnachtsbriefmarke.