Der Atem des Himmels und der Atem liebender Menschen
Er lebte extrovertiert. Im Roman-Autor begegnet man nun dem anderen, aber nicht neuen Bilgeri.
Ausgabe: 2007/45, Bilgeri, Atem, Himmel, Roman, Buch
07.11.2007
- Ernst Gansinger
„Sie nagelten ihren Glauben heimlich ans Kreuz, um gleich wieder zu bereuen, andere sackten in eine Gleichgültigkeit, die wie eine Befreiung war. Aus den Angeln war alles. Nie war Gott so abwesend.“
Eine Lawine macht dem Leben einen Strich durch die Rechnung. Einen so gewaltigen Strich, dass alles, was fest im Fundament zu sein schien, aus den Angeln gehoben wird. Eine Lawine, die auch den Glauben an die Wand drückt. – Der seit etwa 1970 als Austro-Rocker und (gemeinsam mit Michael Köhlmeier, seinem besten Freund) als Kabarettist bekannte Reinhold Bilgeri hat vor zwei Jahren seinen ersten Roman veröffentlicht. In „Der Atem des Himmels“ erzählt er zumindest drei Geschichten, deren Begegnungsort Blons im Großen Walsertal in Vorarlberg ist. Zum einen eine Geschichte menschlicher Ignoranz gegen die Natur, die 1954 zur größten Lawinenkatastrophe in den Alpen führt, bei der alleine in Blons 57 Menschen sterben. Zum anderen eine berührende Liebesgeschichte einer Lehrerin, die mit 41 Jahren beginnt, ihr Leben selbst zu leben, und eines Lehrers, der unermüdlich vor den möglichen katastrophalen Folgen eines Lebens gegen die Natur warnt. Sowie eine Geschichte über das Aufeinandertreffen von zwei Welten – hier aussterbender Adel, dort karges dörfliches Leben, zudem in einer Zeit, in der der Nationalsozialismus noch fortfiebert.
Himmels-Atem. Bilgeri verwebt in den Roman auch die eigene Familien-Biografie. Seine Mutter ist eine geborene Gaderthurn wie die Romanheldin. Der Lehrer und Lawinenwarner Eugenio Casagrande hat etwas von seinem Vater, viel von Eugen Dobler, dem Chronisten des Tales, und etwas vom Autor selbst. Am Ende des Romans klärt Bilgeri den Buchtitel auf: „Scharfer Wind blies eine mächtige Schneefahne über die Gipfelkante hinaus, weit ins dunkle Blau hinein, ins gründliche, unverschämte, als wär’s der Atem des Himmels.“ Zuvor wird der Leser in die Lawinen-Katastrophe mitgenommen; am Ende bleibt er mit der Frage zurück: Ist dieser Himmels-Atem ein bedrohlicher? „Kann sein“, sagt Bilgeri im Gespräch mit der KirchenZeitung, „das bleibt offen.“ Sieht man die Schneefahnen, könne es der Atem der Hölle sein, andererseits kann der Winter so schön sein.
Einerseits – andererseits. Dieses Einerseits – Andererseits klingt bei Bilgeri mehrmals durch. Der 1950 geborene Sohn einer sehr katholischen Mutter und Internatsschüler, der Missionar werden sollte, bezeichnet sich heute als suchenden Agnostiker, der eine hohe spirituelle Intensität in sich spürt. „Wenn ich hin und wieder ‘Danke, lieber Gott‘ in mich hineinsage, ist Gott das große Andere, das nie von uns erforscht wird. Da ist ein Zweifel, und dann eine Sicherheit“, sagt Bilgeri, der sich durchaus selbst ganz nah diesen eingangs zitierten Blonser Roman-Stimmungen weiß. – „Sie nagelten ihren Glauben heimlich ans Kreuz, um gleich wieder zu bereuen ... “ – Der einstige Deutsch-, Geografie, Philosophie- und Psychologielehrer setzt oft kräftige Sprachbilder ein, um schwer Begreifliches gut verständlich zu machen: „Das Leben hatte sich aus den Tobeln davongemacht wie ein verschreckter Hund.“