Der Alltag im Slum von Kidderpore ist geprägt von Armut. Frauen werden hier oft Opfer von häuslicher Gewalt. Das Institute of Social Work (ISW) in Kalkutta bietet ihnen Hilfe an. Unterstützt wird die indische Organisation von der Katholischen Frauenbewegung Österreichs (kfbö).
Smog hängt über Kalkutta. Die Hauptstadt des indischen Bundesstaates Westbengalen zählt 15 Millionen Einwohner. Wie in jeder Großstadt gibt es auch hier zahlreiche Elendsviertel. Im Slum von Kidderpore, einem von 141 Stadtteilen Kalkuttas, herrschen Hunger und Armut vor. Jede Familie hat nur einen kleinen Raum zur Verfügung, in dem das Bett fast den ganzen Wohnbereich ausfüllt. Wasser zum Waschen oder Kochen gibt es an den öffentlichen Wasserstellen. Nur eine Gemeinschaftstoilette steht für alle Slumbewohner bereit. Die Müllentsorgung ist miserabel. Krankheiten wie etwa Tuberkulose treten unter diesen Bedingungen verstärkt auf. Alkoholismus ist weit verbreitet.
Gewaltopfer. Die Frauen im Slum leiden häufig unter ihren gewalttätigen betrunkenen Männern. Dazu kommt, dass die Ehemänner ihren Frauen oft keinen Unterhalt zahlen. Neben Hindus leben hier zahlreiche Muslime. Die Vielehe ist bei ihnen nach wie vor erlaubt. Nicht selten kommt es auch deshalb zu Auseinandersetzungen in den Familien. Die Frauen dürfen zum Teil nicht arbeiten gehen und müssen zu Hause bleiben. Generell ist die Arbeitslosigkeit hoch – ein Problem, das auch die Hindufrau Bindya Debi betrifft.
Wohnen im Slum. Verlässt man die breiteren Straßen von Kidderpore und biegt in eine Seitengasse ab, betritt man die labyrinthartigen schmalen Gässchen der Slums. An den Wänden sind Schnüre angebracht zum Trocknen der Wäsche. Kübel und Plastikflaschen stehen in den Gängen. Auf einem schmalen Mauervorsprung hockt ein Mann und rasiert sich. Gleich um die Ecke wohnt Bindya Debi gemeinsam mit ihrem Mann, ihren drei Söhnen und ihrer Schwiegermutter in einem kleinen Raum. An der grün bemalten Wand neben dem Fenster hängt ein mit Blumen geschmückter Holzaltar, auf dem Bilder mit Hindu-Göttern stehen. Eine alte Holztruhe bietet Stauraum für Wäsche. Das Bett benötigt den meisten Platz im Raum. Bindyas wirtschaftliche Situation ist schwierig. Ihr Mann will nicht arbeiten – ein großes Problem, denn Bindya weiß nicht, wie sie ihre Familie erhalten soll. Die Kinder sind noch klein, zwei, drei und fünf Jahre, so ist es ihr selbst nicht möglich, einer Arbeit nachzugehen. Ein paar Gassen weiter ist die 12-jährige Amina zu Hause. Sie lebt hier nicht nur mit ihren Eltern, sondern auch mit ihrer Oma, ihren Onkeln, Tanten, Cousinen und Cousins. Zusammen sind das 20 Menschen – kaum vorstellbar, dass sie alle in einem winzigen Zimmer Platz haben. „Was das Schlafen betrifft, gibt es hier genaue Einteilungen“, erklärt Aminas Vater Navajan. So hat sein jüngerer Bruder mit dessen Ehefrau Vorrecht auf das Bett. Der Platz unter dem Bett ist für die älteren Mitbewohner bestimmt. Die Kinder schlafen im Raum verteilt. Abgetrennt werden die Bereiche abends mit Vorhängen, die über gespannte Schnüre gelegt werden. Eine kleine notdürftige Kochstelle befindet sich am Boden. Das Essen nehmen die Familien aus Platzgründen separat ein. Während gekocht wird, machen die Kinder auf dem Bett ihre Hausaufgaben. Der Platzmangel macht allen zu schaffen. Doch am meisten leidet Amina darunter, dass sie nach ihrem Schulabbruch kaum Aussicht auf einen guten Job hat. Ihr Vater verdient als Friseur monatlich 1400 Rupien, das sind umgerechnet 24 Euro. Zu wenig, um seiner Tochter eine gute Schulausbildung zu finanzieren. Aminas Eltern denken darüber nach, sie bald zu verheiraten. Je jünger sie ist, desto weniger Mitgift muss bezahlt werden. Mädchen haben es in Indien nicht leicht. Traditionell werden hier immer noch Söhne den Töchtern vorgezogen. Grund dafür ist vor allem die Mitgift, welche die Eltern bei der Heirat einer Tochter zahlen müssen. So kommt es häufig vor, dass sich arme Familien hoch verschulden. In der patriarchalen Gesellschaft Indiens haben sich Frauen den Männern unterzuordnen, sie bekommen schlechtere Nahrung und haben weniger Zugang zu Bildung.
Selbstbewusstsein stärken. Hilfe für arme Frauen und Mädchen wie etwa Bindya oder Amina kommt vom Institute of Social Work (ISW) in Kalkutta. Die Organisation wurde 1978 von Sozialarbeiterinnen gegründet und wird mit Mitteln der Aktion Familienfasttag der Katholischen Frauenbewegung Österreichs unterstützt. „Um die soziale Situation der Frauen in den Slums von Kidderpore zu verbessern und ihnen Auswege aus ihrem Dilemma aufzuzeigen, ist es wichtig, ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Dazu werden Frauengruppen gegründet und Ausbildungsprogramme angeboten. Näh-, Stick- oder Webkurse helfen den Frauen, wirtschaftlich unabhängiger zu werden. Sie lernen hier, besser mit ihrem Geld umzugehen. Mittels Mikrokreditprogrammen ist es auch möglich, dass sie sich selbstständig machen“, sagt Nupur Sanyal, Generalsekretärin von ISW. Rechtsberatungen tragen dazu bei, dass Frauen über ihre Rechte Bescheid wissen und diese bei Bedarf einfordern. Bildungsprogramme für Kinder und jugendliche Mädchen helfen, Schulabbrüche und Kinderheirat zu verringern.
Im Blick
Sozial benachteiligt
In Indien hat die rapide wirtschaftliche Entwicklung in den letzten zehn Jahren zu einer wachsenden Mittelklasse geführt. Trotzdem leben 44% der 1,1 Milliarden Einwohner des südasiatischen Landes von weniger als einem US-Dollar pro Tag und somit unter der Armutsgrenze. Sie leiden an Unter- und Fehlernährung, haben kein sauberes Trinkwasser und ihre Gesundheitsversorgung und Schulbildung sind unzureichend. Viele Menschen auf dem Land flüchten in die Stadt, weil sie sich dort bessere Arbeitsbedingungen erhoffen. Doch die meisten der Arbeitsuchenden landen aber in den ständig wachsenden Elendsvierteln der Millionenstädte. Die parlamentarische Demokratie Indien ist ein Vielvölkerstaat und reich an unterschiedlichen Ethnien, Religionen, Sprachen und Kasten. Etwa 160 Millionen hinduistische Kastenlose, die sich Dalits nennen, leben am Rande der indischen Gesellschaft und werden zunehmend diskriminiert. Das Kastensystem schließt jene Menschen aus, die nicht zu den vier hinduistischen Hauptkasten (Brahmanen, Kshatriyas, Vaishyas, Shudras) gehören. Dazu zählen auch die Adivasi (indigene Stammesbevölkerung), die 8% der Einwohner Indiens ausmachen. Sozial benachteiligt werden außerdem die Inderinnen. Ein Übel unter vielen ist, dass Buben in Indien den Mädchen vorgezogen werden. Wegen der Mitgiftzahlungen für die Braut gelten Töchter als finanzielle Bürde und Last. So kommt es häufig vor, dass weibliche Föten abgetrieben werden.
Zur Sache
Frauen zur Selbsthilfe ermächtigen
Die Aktion Familienfasttag der Katholischen Frauenbewegung Österreichs (kfbö) ruft auch heuer wieder in der Fastenzeit zum Teilen mit benachteiligten Menschen in den Ländern des Südens auf. Unter dem Motto „Teilen macht stark“ geht es vor allem darum, notleidenden Frauen in Asien und Lateinamerika Wege zur Selbsthilfe und zur Durchsetzung ihnen zustehender Rechte zu erschließen. „Mit den Mitteln der Aktion Familienfasttag können wir Frauen Lebenschancen ermöglichen und sie zur Selbsthilfe ermächtigen. Wir wollen den Frauen die Augen öffnen für ihre eigene Kraft“, sagt Margit Hauft, Vorsitzende der Katholischen Frauenbewegung Österreichs. So werden etwa in Indien Alphabetisierungs- und Ausbildungsprogramme für Mädchen und Frauen gefördert, damit sie ein eigenes Einkommen erwerben können und so finanziell abgesichert und unabhängiger sind. Außerdem werden Aktionen von Projektpartnern unterstützt, die sich u. a. gegen die Verheiratung minderjähriger Mädchen einsetzen. Mit den Spenden der Österreicher/innen sollen Frauenförderungsprojekte im Ausmaß von insgesamt zwei Millionen Euro in Asien und Lateinamerika unterstützt werden. Die Aktion Familienfasttag hat am Aschermittwoch (6. Februar 2008) mit öffentlichen Fastensuppenessen und Kirchensammlungen begonnen.