Der etwas andere Fußballerfilm erzählt vom schwarzen Löwen
Ausgabe: 2008/22, Tiger, Euro08, ORF, Nigeria, Eichgraben, Niederösterreich, Thomas Leutgöb, Emmanuel Antiga, Nigeria, Ursula Leutgöb, Schauplatz, Der schwarze Löwe
28.05.2008 - Hans Baumgartner
Drei Tage vor Beginn der EURO 08 zeigt der ORF einen etwas anderen Fußballerfilm. Er erzählt vom „schwarzen Löwen“, den man im wahren Leben „Tiger“ rief, und seinen drei nigerianischen Kollegen im niederösterreichischen Eichgraben.
Es hatte sich in der Gegend herumgesprochen: Bei den „Black Pearls“, einer Fußballmannschaft aus dem Flüchtlingslager Traiskirchen, spielen ein paar tolle junge Kicker. Einige Leute vom SV Eichgraben (30 km westlich von Wien) schauten sich deshalb ein Spiel der „Asylantentruppe“ gegen Lilienfeld an. Vier junge Nigerianer wurden daraufhin zum Probetraining eingeladen. Im Sommer 2005 wurden sie nach Eichgraben geholt und in einer kleinen Wohnung im Sportheim untergebracht.
Sorge und Neugier. „Eines Tages“, so erzählt Ursula Leutgöb, „kamen unsere Buben vom Training beim SVE nach Hause und erzählten, dass dort jetzt ganz lässige Afrikaner mitspielen. Und dass sie bei denen auch schon in der Wohnung waren. In dem Moment ist bei mir die ganze Vorurteilsmaschinerie losgegangen. Hoffentlich sind das keine Drogendealer und so. Ich bin heute noch dankbar dafür“, meint Leutgöb, „dass ich mich damals beherrscht und nicht gleich mit allen möglichen Warnungen losgelegt habe. Irgendwie aber habe ich wohl gespürt, da ist etwas besonders.“ Frau Leutgöb wurde neugierig und hat die vier Nigerianer am darauffolgenden Sonntag zum Grillen eingeladen. „Es hat uns dann sehr beeindruckt, wie nach dem Essen Emmanuel Antiga, den sie im SVE nur ,Tiger‘ nannten, aufgestanden ist und sich bedankt hat für die Einladung und dass wir sie in unsere Familie aufgenommen haben. Er hat dann auch ganz offen unsere Sorgen angesprochen und gemeint: ,Wir sind Fußballspieler und haben mit Drogen nichts zu tun.‘ Er hat offenbar sehr gut gespürt, dass wir Eltern wissen wollten, mit wem unsere zwei Jugendlichen umgehen.“
Alltag meistern. Neben den Leutgöbs haben auch zwei weitere Familien (Hammerl und Satzinger) aus Eichgraben Freundschaft mit den vier Nigerianern geschlossen. „Alle haben dann auf ihre Art und auch mit Hilfe der Bevölkerung versucht, die Burschen zu unterstützen, mit Kleidern für den Winter, mit Fahrrädern oder auch wenn es Schwierigkeiten gab. Wir alle mussten lernen, dass viele praktische Dinge unseres Lebens den jungen Afrikanern einfach fremd waren, von der Mülltrennung bis zum Schneeschaufeln. Aber wir haben in dieser Zeit auch ungemein viel von den Burschen geschenkt bekommen“, ist Leutgöb dankbar.
Als es heiß wurde. Zusammengeschweißt hat die drei Familien, als es für Tiger brenzlig wurde. Im Herbst 2005 wurde er von der BH St. Pölten überprüft. Dabei wurde festgestellt, dass er illegal in Österreich sei. Die Abschiebung stand im Raum. Tiger musste nach einer Trainingsverletzung am Knie operiert werden. „In der Rekonvaleszenz traf er meinen Mann auf dem Fußballplatz und ließ ihn dort auf die Nachfrage, wie es ihm denn wirklich gehe, ganz tief in sein Inneres schauen. Er sprach über seine Zukunftsängste und auch von seiner panischen Angst, neuerlich in Schubhaft zu kommen. Da würde er sich lieber etwas antun. Mein Mann“, so Leutgöb, „sagte daraufhin zu ihm: ,Tiger, das Leben ist das größte Geschenk, das ein Mensch bekommen kann. Das wirft man nicht einfach weg. Es gibt immer einen Weg.‘ Und er versprach Tiger, dass er alles tun würde, damit dieser nicht in Schubhaft müsse. Als er mir dann ziemlich aufgewühlt zu Hause von der Unterhaltung erzählte, machte ich ihm Vorwürfe wegen seines Versprechens: Das steht doch nicht in deiner Macht. Er aber meinte: Du hättest dasselbe getan. Jetzt ist es soweit, auch persönlich, wenn es sein muss, was zu riskieren.“
Ich gehe zurück. Die drei Familien organisierten daraufhin in Eichgraben eine Unterschriftenaktion; Thomas Leutgöb und Geri Satzinger traten mit den Behörden in Kontakt. Dennoch kam Ende November der Abschiebebescheid. „Als ihn mein Mann darüber informierte, brach Tiger regelrecht ein. Wir haben ihn dann zu uns in die Familie geholt, weil er es in der Wohnung nicht mehr aushielt. Wir haben mit ihm geweint, geschimpft, geredet, geschwiegen und mögliche Auswege überlegt. Dann kam der mir unvergessliche Moment, wo sich Tiger so richtig aufgerichtet hat und sagte: ,Ja, ich gehe nach Nigeria zurück.‘ Das war was anderes als ein sich damit Abfinden, das war ein positives Annehmen seiner Lage“, erzählt Ursula Leutgöb. Die Eichgrabener Familien haben dann noch erreicht, dass Tiger seine Physiotherapie fertig machen konnte und sie haben sich bereit erklärt, für Tiger zu bürgen und die Kosten für den Flug zu übernehmen, damit Tiger nicht in Schubhaft genommen wurde. „Es war dann für mich schon eine ganz besondere Erfahrung, wie viele Leute mir Geld für den Flug und für Tiger zugesteckt haben.“ Tief beeindruckt erzählt Ursula Leutgöb auch von der Abschiedsfeier im Sportverein, wo Tiger sich mit großer Aufmerksamkeit auch für die kleinsten Dinge bei allen bedankt hat. Der Abschied von den drei Familien war ein Auf und Ab der Gefühle. „Am Schluss sind die vier Burschen aufgestanden und haben in einem langen Lied Gott für jede/n gedankt, durch die/den er ihnen etwas Gutes getan, ihnen die Hand gereicht hat. Das hat uns zutiefst berührt“, sagt Ursula Leutgöb.
Schwieriger Start. Am 15. Jänner 2006 flog Tiger nach Nigeria zurück. In den folgenden Wochen und Monaten wurden seine Telefonate und E-Mails immer bedrückender. Er fand keine Arbeit und das Startkapital, das ihm die drei Familien mitgegeben hatten, ging rasch zur Neige. „Uns hat das sehr bedrückt, denn wir wollten ihm helfen, konnten aber nicht. Da sah Sissi Hammerl im Fernsehen einen Bericht über ein Schulprojekt in Nigeria von Youthcare International, einer Grazer Initiative. Wir nahmen mit den Verantwortlichen Kontakt auf. Die schauten sich daraufhin Tiger an und nahmen ihn im Herbst 2006 als Sportlehrer auf. Wir übernahmen sein Gehalt (65 Euro/Monat)“. Gefreut hat Leutgöb, als Tiger schrieb, „dass er nun von dem, was er bei uns erleben durfte, etwas seinem Land zurückgeben will. Er hat ein kleines Projekt begonnen und kümmert sich in einem Waisenhaus um behinderte Kinder.“
Was zählte. „Der Spielfilm erzählt eine fiktive Geschichte. Die Menschen, die darin vorkommen, sind nicht wir, die in die wahren Begebenheiten involviert waren, und doch ist sehr viel drinnen von dem, was wir erlebt haben“, meint Ursula Leutgöb. Und der Film habe eine Botschaft, die ihr sehr wichtig scheint: „Es sind ganz normale ,kleine Leute‘, die mit vielen kleinen Schritten etwas bewegen, weil sie die Menschen, die ihnen begegnen, sehen und nicht wegschauen. Drehbuchautor Rupert Henning hat mich einmal gefragt, ob das alles nicht bloß ein winziger Tropfen auf dem heißen Stein sei. Ja, sagte ich darauf, das ist ein kleiner Tropfen. Aber es ist das, was ich tun kann, und wenn ich es nicht tue, fehlt dieser Tropfen.“ Und noch etwas hat Ursula Leutgöb bei dieser Geschichte erfahren. „Da wurde für viele Leute im Dorf die sogenannte Ausländerdebatte ganz unwichtig; was zählte, waren die vier, die Hilfe brauchten.“
Im Blick
Der „Tiger“ im ORF
„Der schwarze Löwe“ ist eine Tragikomödie, in der das politisch heiße Thema Asyl am Schicksal dreier afrikanischer Fußballer in einem kleinen, vom Abstieg bedrohten Verein geschildert wird. Die Drehbuchautoren Uli Brée und Rupert Henning erzählen darin eine Geschichte, die bei aller Freiheit der Gestaltung auf einer wahren Begebenheit beruht. Es ist ein Spielfilm und keine Dokumentation. „Aber Henning hat dabei unsere Erfahrungen mit viel Einfühlungsvermögen verdichtet“, sagt Ursula Leutgöb aus Eichgraben. „Und auch die Schauspieler erzählten uns, es sei für sie etwas Besonderes, Rollen zu spielen, für die konkrete Menschen, die sie persönlich kennen lernen konnten, den Anstoß gaben“. Regie führte Wolfgang Murnberger (Brüder); es spielen u. a. Wolfgang Böck, Lukas Resetarits und Isabella v. Karajan.
4. Juni, ORF 2, 20.15: „Der schwarze Löwe“. Anschließend wird ein „Schauplatz“ über den wahren „Löwen“ Emmanuel Antiga gezeigt, der z. T. in Nigeria gedreht wurde.