Wort zum Sonntag
Auf dem Tisch steht ein Anrichteteller mit mehreren Stücken eines Blätterteiggebäcks, das in der Mitte Vanillecreme enthält. „Das sind Pasteis de Nata“, verrät Waltraud Hoffinger.
Die Linzerin hat die portugiesische Mehlspeise hergerichtet, weil sie gemeinsam mit Hannelore Mauracher aus Steyr über ihre Zeit in Portugal erzählen wird. Es ist keine Geschichte über eine Urlaubsreise oder einen beruflichen Auslandsaufenthalt. Die zehn Monate, die sie im westlichsten Staat des Kontinents verbrachte, lagen in den Jahren 1949/50. Hoffinger war damals neun Jahre alt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden österreichische Kinder für mehrere Monate zur Erholung ins Ausland gebracht. Als Zielland bekannt ist zum Beispiel die Schweiz, aber Hoffinger und Mauracher gehörten zu den „Portugalkindern“. In den Jahren 1947 bis 1956 wurden laut der Historikerin Susanne Mayr 5.402 österreichische Kinder nach Portugal „verschickt“, wie das damals hieß.
„Für die Erholung wurden vor allem Kinder ausgewählt, die aus sehr armen Familien kamen, unterernährt waren oder an Krankheiten, etwa der Atemwege und Lunge, gelitten haben“, erzählt Hoffinger und zeigt die Namenskarte, mit der sie damals unterwegs war und auf der noch ihr Mädchenname „Waltraud Seidel“ steht. Auch die alten Namenslisten hat sie ausfindig gemacht und legt die Erinnerungsstücke auf den Tisch, auf dem der Kaffee aus der Tasse dampft.
Organisiert wurde die „Kinderverschickung“ damals von der österreichischen und der portugiesischen Caritas. Schon die Anreise war kompliziert: In den meisten Fällen ging es mit dem Zug nach Italien, dann folgte eine Schiffsreise nach Portugal. Dort wurden die Kinder über das Land an zumeist wohlhabende Familien verteilt, die sich bereit erklärt hatten, ein Kind aufzunehmen. Waltraud Hoffinger kam in die Kleinstadt Campo Maior an der Grenze zu Spanien, Hannelore Mauracher nach Cruz-Quebrada, das ist ein Vorort von Lissabon.
Die Umstellung auf die neue Lebensumgebung war für die Kinder groß, sie mussten z. B. rasch Portugiesisch lernen. Später, bei der Heimkehr nach Österreich, war dann der Wiederumstieg auf Deutsch eine Herausforderung.
„Meine portugiesische Gastmutter konnte sogar Deutsch und wollte die Sprache mit mir pflegen, aber ich habe sehr rasch begonnen, auf Portugiesisch zu antworten. Überhaupt hat sich meine Gastfamilie sehr um mich bemüht. Obwohl es das in Portugal nicht gibt, haben sie einen Nikolausbesuch für mich organisiert, damit ich mich wie zuhause fühle“, erzählt Mauracher.
Hoffinger holt unterdessen Erinnerungen in Form alter Fotografien hervor. Auf einem Bild ist sie als Mädchen zu sehen: Sie trägt ein weißes Kleid über einer dunklen Bluse und lacht in die Kamera. „Wir fühlten uns, als wären wir im Paradies. Es war eine erlebnisreiche Zeit und sie steckt bis heute in uns.“
Das gilt nicht nur für Hoffinger und Mauracher: Bei einem Besuch in Portugal Ende der 1990er-Jahre erkundigten sich ehemalige Pflegefamilien nach „ihren“ Kindern. Also machte sich Waltraud Hoffinger auf die Suche, fahndete bei der Caritas nach Aufzeichnungen und rief über einen Zeitungsartikel die früheren „Portugalkinder“ auf, sich zu melden.
Auch Hannelore Mauracher entwickelte detektivische Fähigkeiten bei der Suche nach den damaligen Kindern und den Gastfamilien. Denn mittlerweile sind es auch Nachkommen der „verschickten“ Kinder, die sich für diese Geschichte interessieren. „Sie möchten erfahren, wo genau der Ort liegt, an dem es ihren Familienangehörigen nach dem Krieg so gut gegangen ist“, sagt Mauracher.
Aus den Aktivitäten entstanden regelmäßige Treffen der „Portugalkinder“, wie Hoffinger berichtet: „Zu Weihnachten sind es 70 bis 80 Menschen, die sich treffen, unter dem Jahr zwischen 25 und 30“ – allein in Oberösterreich. Auch in anderen Bundesländern gibt es ähnliche Gruppen.
2004 entstand die Idee, das ORF-Friedenslicht in den portugiesischen Marien-wallfahrtsort Fatima zu bringen. Eine Delegation von rund 60 Österreicher:innen reiste damals dorthin, begleitet unter anderem von dem jüngst verstorbenen Caritas-Rektor Josef „Joe“ Mayr. „Bei der Messe in Fatima waren dann 1.000 Menschen dabei, darunter viele ehemalige Gastfamilien. Auch einer der vier Bischöfe, die mitgefeiert haben, hatte ein Pflegekind in seiner Familie“, erzählt Waltraud Hoffinger. Die früheren Pflegekinder brachten aber nicht nur das Friedenslicht. Bis heute unterstützen sie ein karitatives Projekt für benachteiligte Kinder an der Algarve-Küste.
Selbst bekamen sie von der Caritas Portugal eine Statue der Muttergottes von Fatima überreicht. Auch das hat Tradition: Bei der Heimkunft einer großen Gruppe von Pflegekindern wurde 1949 auch eine Marienstatue mitgeschickt. Sie erinnert heute in der Wallfahrtskirche Schardenberg an die Geschehnisse.
Jene Statue, die 2004 den einstigen „Portugalkindern“ geschenkt wurde, ist heute in ihrem Kreis. Das soll sich nun ändern. „Ich bemühe mich, einen guten Platz für die Muttergottes zu finden“, sagt Waltraud Hoffinger. Dazu gehört, dass sie zugänglich sein sollte. Bisherige Versuche, die Muttergottes-Statue etwa in den Kapellen von Altenheimen oder Kirchen an passender Stelle, ähnlich wie jener in Schardenberg, aufzustellen, führten zu keinem Ergebnis. Hoffinger möchte daher über die Kirchenzeitungs-Leser:innen ein Platz finden.
Wenig Platz ist mittlerweile auf dem Tisch, auf dem Hoffinger und Mauracher Erinnerungsstücke und Zeitungsausschnitte aufgelegt haben. Auch ein paar Pasteis de Nata sind noch übrig. Letztlich sind auch sie ein Andenken an die Zeit in Portugal – ein besonders süßes.
Wenn Sie einen Platz für die Marienstatue wissen, melden Sie sich bitte bei der Kirchenzeitung, wir geben die Information weiter: Tel. 0732 7610 3944 bzw. office@kirchenzeitung.at.
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