Wort zum Sonntag
Wie ist das alltägliche Leben in ihrer Abtei in Jerusalem und in ihrem Priorat am See Gennesaret, seit jenem 7. Oktober 2023, der alles im Land verändert hat: Seit die Hamas aus dem Gazastreifen heraus Israel überfallen hat und seit Israel den Gazastreifen bombardiert, in den Libanon einmarschiert ist, und, und, und ...
Abt Nikodemus Schnabel OSB: Während viele Ausländer das Land verlassen haben, war für uns Mönche völlig klar: Wir bleiben und wir verrichten in Treue unser Chorgebet und feiern Gottesdienst. Und wir halten unsere beiden Klöster offen. Wir haben noch keinen Tag geschlossen gehabt. Wir sind keine Schönwettermönche. Aber so ehrlich muss man sein, einfach ist es nicht. Oft sitzen wir gerade beim Essen und dann ist Raketenalarm. Wir müssen alles liegen und stehen lassen und in den Bunker. Oder wir sind gerade mitten im Gebet. Aber dennoch: Wir befinden uns als Kommunität in einer geistlichen Wachstumsphase. Wir haben – mitten im Krieg – einen Novizen aufgenommen und ein Interessent hat angeklopft. Auch als Gemeinschaft sind wir durch die aktuelle Situation zusammengewachsen.
Wovon leben Sie als Gemeinschaft?
Abt Nikodemus: Im Normfall von den Pilgern, die aber seit Oktober 2023 so gut wie völlig ausbleiben. Gott sei Dank gibt es viele großherzige Menschen. Wir haben keinen unserer 24 Angestellten entlassen, die insgesamt 29 schulpflichtige Kinder haben. Wir Mönche haben uns gemeinsam entschieden, dafür auch auf unseren Pensionsfonds zuzugreifen. Wir sind hier wirklich von einem Ozean von Leid, Leid und nochmals Leid umgeben. In vielen Gesprächen flutet es an uns heran.
Wie gehen Sie damit um?
Abt Nikodemus: Wir bemühen uns, Inseln der Hoffnung zu sein und unsere Gastfreundschaft auszuweiten. Es ist ein Geschenk, wie neue Freundeskreise um unser Kloster wachsen. So haben wir unsere Türen für Künstler geöffnet. Denn in Kriegszeiten wird die Kultur als Erstes für verzichtbar erklärt. Wir sind zu einem besonderen Konzert- und Kulturort geworden. Der Krieg ist auch brutal, was behinderte Menschen anbelangt. Sie werden rasch vergessen. Daher haben wir unsere Einrichtung für behinderte Menschen am See Gennesaret, die wir schon lange betreiben, nochmals weiter geöffnet. Sie und viele bedrängte Menschen sind sehr dankbar. Und es entsteht auch ein neuer interreligiöser Freundeskreis. Es wird einen Tag danach geben und da ist es wichtig, dass Menschen über Religions- und andere Grenzen hinaus sich kennen.
Der Tag danach scheint aber noch in weiter Ferne zu sein. Was können Sie bis dahin tun?
Abt Nikodemus: Im Heiligen Land erleben wir eine unvorstellbare Enttabuisierung der Gewalt. Der Gegner wird dämonisiert, als Tier in Menschengestalt oder als Ratte bezeichnet. Dem stellen wir das Bekenntnis gegenüber, dass jeder Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen ist, wie wir das im Buch Genesis lesen. Auch im Koran wird der Mensch als Stellvertreter Gottes bezeichnet. Das verbindet Christen, Juden und Muslime. Und ich erinnere an die Erklärung der Menschenrechte.
Auf welcher Seite stehen Sie als Christ, der seit 22 Jahren im Land lebt?
Abt Nikodemus: Wir sind nicht parteiisch. Wir sind nicht pro Israel, wird sind nicht pro Palästina. Wir sind pro Mensch. Es ist herausfordernd, Christ im Heiligen Land zu sein, aber es verbietet sich eine Schwarz-Weiß-Malerei.
Sehen Sie zurzeit irgendeine Perspektive für eine friedliche Zukunft?
Abt Nikodemus: Es muss die Grundsehnsucht sowohl Israels nach Sicherheit als auch Palästinas nach Freiheit ernst genommen und umgesetzt werden. Das ist möglich. Aber dazu braucht es die Rückkehr an den Verhandlungstisch. Wir führen Krieg um die Frage, wo welche Hymne gespielt und wo welche Fahne wehen soll. Wir erleben eine Niederlage der Menschlichkeit. Ich bin kein Politiker, sondern Mönch, aber ich mag nicht glauben, dass es keine Alternative zum Töten gibt. Viele Aussagen von Politikern sind eine billige Ausrede, sich nicht an den Verhandlungstisch zu begeben. Doch die internationale Politik ist weniger vorhersehbar denn je. Der Nahe Osten hat schon viele Wunder erlebt.
Abt Nikodemus Schnabel OSB referierte auf Einladung von Pro Oriente OÖ am 18. Mai 2025 in Linz. Bilder der Begegnung:
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