Fünf Jahre Pause und dann wollen Kettcar mit „Ich vs. Wir“ ein Statement zur Lage der (deutschen) Nation abgeben. So politisch wie bei ihrem neuen Werk war die Band nie zuvor. Und ja, vielleicht brauchen wir in einer Zeit sozialer Kälte, in der Verunsicherung und Angst aus ihren Löchern gekrochen kommen, nichts dringender als Songs, die uns aufrütteln. Doch ich will es mir nicht antun. Der „Sommer ’89“ kommt bei mir nicht an, wenn mich Marcus Wiebusch in seinem Sprechgesang an die Massenflucht aus der DDR erinnert und dabei die Brücke zum Jetzt schlägt. Genauso kann mir die „Wagenburg“ gestohlen bleiben, die thematisch absolut am Puls der Zeit ist und mich dennoch kalt lässt. Doch dann gibt es auch eine „Ankunftshalle“, in der ein Feuer der Menschlichkeit entfacht wird, das mein Herz wärmt. Ein an Bruce Springsteen erinnerndes „Benzin und Kartoffelchips“, das wahre Freundschaft und das Leben im Moment besingt. Und schließlich steig ich ein in den Bus zur „Trostbrücke Süd“, höre mit den anderen Gestalten im Bus den gleichen Song und in Verbundenheit singen wir im Chor: „Wenn du das Radio ausmachst / Wird die scheiß Musik auch nicht besser“. „Ich vs. Wir“ ist ein Album, das dort am meisten berührt, wo es mal nicht politisch ist. Vielleicht brauchen wir in einer Zeit sozialer Kälte nichts dringender als einen Song mehr über (Nächsten-)Liebe. Bewertung: 3 von 5 Sternen
Kettcar – Ich vs. Wir, erschienen bei Grand Hotel van Cleef.