Der Rektor der Kunst-Uni in Linz, Reinhard Kannonier, ist auch in den Fächern Politologie und Zeitgeschichte beheimatet. Zeitgeschichte, Politologie und Kultur sind eine gute Hintergrund-Mischung, um am Beginn eines neuen Jahres, dem Jahr der Kulturhauptstadt Linz 09, über Politik und die Kultur der Politik nachzudenken.
Sie haben beim „dies academicus“ an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität in Linz über die „verführerische Macht der Ideologie“ gesprochen und gemeint, dass auch Eliten für vereinfachende Parolen empfänglich sind. Warum sind sie das? Rektor Reinhard Kannonier: Man darf nicht vom Wissen auf Moral schließen. Das ist ja eine der größten Enttäuschungen der Geschichte. Eliten verfolgen natürlich auch Machtstrategien. Sie decken zudem einen sehr spezifischen Bereich ab und sind oft dort, wo sie nicht Elite sind, sehr naiv. Etwa in der Politik.
Was ist zu tun, um der Verführung vereinfachender Parolen, der Verführung von Extremismus und Nationalismus vorzubeugen? Kannonier: Letztlich führt kein Weg am Bildungssystem vorbei. Die politische und kulturelle Bildung ist der Schlüssel. Man muss auch sehen, wie sich die politischen Eliten rekrutieren. – Viel zu sehr aus sich selber heraus. So kommt in die Politik keine Dynamik.
Verhalten sich aber nicht auch Intellektuelle häufig wie Balkon Muppets (Anm.: Die beiden alten Muppets geben am Schluss der Muppet-Show immer ihren Senf dazu, ohne selbst etwas beigetragen zu haben)? Kannonier: Genau, die Leute schauen sich an, was in der Politik geschieht, engagieren sich aber nicht selber. Die intellektuellen Eliten sitzen am Balkon und die politischen Eliten interessieren sich nicht für die intellektuellen.
Wie bringt man die Intellektuellen und die politisch Engagierten zusammen? Kannonier: Kreisky und Busek haben das noch gekonnt. Die Politiker sind kommunikations-resistent. Es hängt auch mit den kurzen Wahl-Abständen zusammen. Der politische Pragmatismus, verknüpft mit dem Populismus, ist fatal.
Was kann die Moral stärken? Kannonier: Die individuelle Moral ist nicht losgelöst vom gesellschaftlichen Umfeld. In Zeiten der Verrohung gesellschaftlicher Sitten kommt der innere Schweinehund leichter heraus. Die Verletzung bestimmter Werte (etwa NS-Wiederbetätigung) muss sanktioniert werden. Der Grundwert der Solidarität ist erstaunlich wenig im öffentlichen Bewusstsein. Es ist alles auf individuelle Erfolgskarrieren ausgerichtet. Da steigt in Österreich die Armut, aber es ist kein Thema, was das für die Solidargemeinschaft bedeutet. Symbole sind eine der unterschätztesten Mittel, und das Grundeinkommen wäre so ein Symbol für die Solidarität.
Zur Person
Reinhard Kannonier
Dr. Reinhard Kannonier ist seit 2000 Rektor an der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz. Der 1947Geborene studierte Germanistik, Philosophie, Musikwissenschaft (Lehramt) sowie Politologie, Publizistik und Kommunikationstheorie (Doktorat). Er wurde 1980 Assistent am Institut für Zeitgeschichte an der Johannes-Kepler-Universität Linz und habilitierte 1985. Von 1987 bis 1990 war er Musikdirektor im Brucknerhaus Linz, war 1992/93 am European University Institute in Florenz und kehrte 1994 zurück an die Kepler-Universität, wo er ab 1998 Institutsvorstand am Institut für Zeitgeschichte war und das Ludwig-Boltzmann Institut für Gesellschafts- und Kulturgeschichte leitete.