Wie konnten Menschen aus katholischer Familie Nazis werden? Wie Heinrich Himmler zum Beispiel. Seine Großnichte, Katrin Himmler, hat sich dieser unbequemen Frage gestellt. Am Freitag kommt sie nach Linz.
„Schützt Humanismus denn vor gar nichts?“ – So fragt Alfred Andersch im Buch „Der Vater eines Mörders“. Es beschreibt einen gnadenlosen, selbstgerechten und autoritären Gymnasiallehrer und -direktor, der auf seine humanistische Bildung stolz ist: Gebhard Himmler, den Vater der drei Brüder Himmler. Humanismus und Religion schützen nicht. Auf die Andersch-Frage gibt Katrin Himmlers Buch „Die Brüder Himmler“ eine Antwort: Nein, Humanismus schützt nicht. Im Gespräch mit der KirchenZeitung verstärkt sie: Humanismus und Religion machen noch keine besseren Menschen. „Erziehung ist wichtig!“ Lernt man etwas über Mitgefühl und Toleranz gegenüber anders orientierten Menschen oder nicht? „Das Elternhaus Himmler hat klar vermittelt, dass christliche Werte nur für die gelten, die man als dazugehörig betrachtete.“ Heinrich Himmler ging zudem bald auf Distanz zu Katholizismus und Kirche, seine Zweifel wurden in der Burschenschaft und im Freikorps gestärkt. 1936 ist er aus der Kirche ausgetreten. Seine Mutter aber galt als sehr fromm. Und dennoch. Auch sie war von Hitler ekstatisch berührt.
Nutznießer und Unterstützer. Der Hauptverantwortliche des Völkermords an den Juden und der Vertreibungs-Politik in Osteuropa, Heinrich Himmler, ist Katrin Himmlers Großonkel, ihr Großvater Ernst war dessen Bruder. In den Familien der Nachkommen wurde über die Verbrechen des Reichsführers der SS, Gestapo-Chefs und Chefs der Polizei, Heinrich Himmler, offen gesprochen. Heinrich wurde als der missratene Sohn dargestellt, die Brüder Ernst und Gebhard hätten mit der NS-Ideologie und dem Regime wenig zu tun gehabt. Katrin Himmlers Recherchen in offiziellen Akten und familiären Quellen korrigieren dieses Bild: Vater und Mutter waren stolz, als Heinrich Karriere machte. Auch sie waren mitleidlos gegen die vom System Abgewerteten. Die Brüder Ernst und Gebhard machten im NS-Staat als Bürokraten und Techniker Karriere, noch lange vor der Machtübernahme der NSDAP traten sie der Partei bei. Gehorsam, Pflicht, Härte. Einige Biographen, so schreibt Katrin Himmler, machen die Strenge und Pedanterie von Heinrich Himmlers Vater mit verantwortlich für die spätere grausige Laufbahn des Sohnes. Erziehungsziele in der Familie waren Fleiß, Pflichttreue, Sittenreinheit, Gehorsam, Härte und Deutschtum – und nicht das humanistische „Ideal einer fragenden, argumentierenden, zweifelnden Persönlichkeit“ (wie der deutsche Historiker Michael Wildt im Nachwort des Buches schreibt). Ein so falsch interpretierter Humanismus kann vor nichts schützen. Herzliche Einladung. In den Lesungs- und Vortrags-Veranstaltungen in Braunau, Ried/I. und Linz geht Katrin Himmler auf dieses Verstrickt-Sein ein. Die Linzer Veranstaltung ist eine Initiative der KirchenZeitung; die Pfarre Marcel Callo, das Bildungshaus Schloss Puchberg und das Netzwerk gegen Rassismus sind Mitveranstalter. In Ried/I. sind die Veranstalter M.u.T., das Bildungszentrum St. Franziskus, das Oö. Volksbildungswerk und der Treffpunkt der Frau. Die Braunauer Veranstaltung organisiert der Verein für Zeitgeschichte.
Im Oktober 2002 starteten das Oö. Volksbildungswerk, das Bildungszentrum St. Franziskus und der Treffpunkt der Frau in Ried im Innkreis eine Zusammenarbeit für zeitgeschichtliche Veranstaltungen. Unter dem Motto „Die Vergangenheit ist nicht tot – sie ist nicht einmal vergangen“ standen seither mehr als 100-mal Zeitgeschichte und Zeitfragen auf dem Veranstaltungs-Kalender. Seit Herbst 2010 trägt die Plattform M.u.T. – Plattform für Menschlichkeit und Toleranz – die Zeitgeschichte-Initiative engagiert mit.
Die Kooperation der vier Träger-Organisationen bringt schon in nächster Zukunft weitere innovative Aktionen und Veranstaltungen. So haben die Rieder die Initiative für das Engagement von Katrin Himmler ergriffen (siehe Artikel links). Mit Schüler/innen des Bundesgymnasiums Ried, die sich damit an der Aktion „Future Spirit“ beteiligen, wird die Geschichte von 71 Menschen – Migrant/innen aus allen in Ried vertretenen Ländern – erforscht und dokumentiert. Das Ergebnis wird auf Schautafeln präsentiert – im Rathaus, bei Kaufleuten und Banken.
Ebenfalls vor dem Hintergrund, dass in Ried Menschen aus 71 Ländern leben, ist die Idee zur Aktion „ich lade dich ein!“ entstanden: Sie will dazu ermutigen, aufeinander zuzugehen, nach Ried zugewanderte Menschen zum gemeinsamen Essen, Trinken und Plaudern einzuladen.