Die Sehnsucht nach einem versöhnten Leben ist ungebrochen
Wichtig ist, den Sinn zu bedenken und nicht an der äußeren Form hängen zu bleiben. „Der Kirche ist keine konkrete Gestalt aufgetragen, sondern ihr biblischer Auftrag ist der Dienst der Versöhnung“, sagt der Liturgiewissenschafter P. Ewald Volgger.
Warum gehen immer weniger Menschen zur Beichte? Die Schlangen vor den Beichtstühlen sind in den allermeisten Pfarren Geschichte ... Ewald Volgger: Am Beginn möchte ich eine Klärung zum Begriff Beichte festhalten. Die offiziellen liturgischen Bücher sprechen seit 1974 nicht mehr von Beichte, sondern vom „Sakrament der Versöhnung für Einzelne“. Das ist keine Haarspalterei, sondern setzt einen neuen theologischen Akzent.
Warum trotz „Neuerung“ eine Krise? Weil sich die Moralvorstellungen der Menschen geändert haben und vermutlich auch die Form des Sakraments ihrem heutigen Empfinden nicht mehr entspricht.
Wie soll die Kirche damit umgehen? Wichtig ist, den Sinn des Umkehr- und Versöhnungssakramentes zu bedenken und nicht an der äußeren Form hängen zu bleiben. Der Kirche ist keine konkrete Gestalt aufgetragen, sondern ihr biblischer Auftrag ist der Dienst der Versöhnung. Oder um es mit Karl Rahner zu sagen: Der heilige Josef hat nicht den ersten Beichtstuhl gezimmert. Die Menschen sollen Möglichkeiten haben, Hilfestellungen zur Versöhnung zu finden. Viele Menschen machen in ihrem alltäglichen Leben die Erfahrung des unversöhnten Miteinanders. Wo Verletzungen und Böswilligkeit greifen, wo die Würde von Menschen verletzt oder mit Füßen getreten und ihre Rechte missachtet werden, braucht es Formen der Versöhnung und die Bereitschaft zur Wiedergutmachung.
Welche Schritte kann die Kirche dazu setzen? Das glaubwürdigste Angebot ist das Vorbild: Wie praktiziert die Kirche eine Kultur der Versöhnung, eine Kultur des respektvollen Gesprächs? Wie gelingt es ihr, barmherzige Strukturen zu schaffen, wo Unversöhntheit trotz Bemühens nicht aufgelöst werden kann?
Was sind zeitgemäße Formen der Versöhnung? Wo Menschen über ihr Leben ins Gespräch kommen, wo sie über ihre Verletzungen reden, da besteht die Bereitschaft umzukehren. Solche Gespräche und den Willen sich zu ändern, gilt es zu unterstützen. Wo Menschen sich im freundschaftlichen Gespräch oder auch in professionellen Formen der Gesprächskultur, der Therapie oder im Mitarbeitergespräch um versöhntes Miteinander bemühen, ist Gott mit am Werk. Wenn Partner einander verzeihen, wenn ein Mensch nach einem einfühlsam-konfrontierenden Gespräch einen Neuanfang setzen will, wenn er nach der Gewissenserforschung ein Reuegebet spricht, wenn jemand bewusst als Zeichen der Umkehr anderen Gutes tut – auf vielerlei Weise können Menschen Versöhnung mit sich und anderen erfahren. Aufgrund solchen Bemühens werden ihnen Sünden vergeben.
Wie ist das zu verstehen? So wie wir im Vaterunser beten: Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Überall dort, wo das Gute gesucht wird und sich Wege bahnt, ist Gott mit seiner verzeihenden Liebe am Werk.
Die Kirche hat aber auch öffentlich sichtbare Formen der Versöhnung … Auf sichtbarrituelle Weise können Gläubige die Zusage der Versöhnung deutlicher erfahren. Im Bußritus beim Gottesdienst, in der Erneuerung des Taufbekenntnisses oder in einer Bußfeier spricht uns die Kirche hörbar die Versöhnung zu.
Was ist nun mit dem Sakrament der Versöhnung für den Einzelnen? Wer sich einer schweren Sünde bzw. Schuld bewusst wird, ist auf das Sakrament der Versöhnung verpflichtet. In der Regel ist eine wirklich schwere Sünde auch schwere Verletzung von Beziehung zu den Menschen und damit auch zu Gott. Damit wird die Taufberufung grundlegend ins Gegenteil verkehrt. Wenn jemand nicht mehr bereit ist, dem Lebensvorbild Jesu zu folgen oder die Würde von Menschen grob verletzt, sündigt er schwer. Das Sakrament der Versöhnung für Einzelne gibt die Möglichkeit, darüber ins Gespräch zu kommen, den Sachverhalt der Sünde zu klären, Wege der Versöhnung zu suchen und auch ein verbindliches Wort der Vergebung zu empfangen. Gelingt eine solche Begegnung mit einem Priester, bekommt das Sakrament der Versöhnung Strahlkraft. In früheren Jahrhunderten sagte man, schwere Sünde verletzt die Strahlkraft der Kirche. Auf dem Hintergrund der Missbrauchsfälle können wir verstehen, was gemeint ist.
Hintergrund
Bußsakrament und Alltag
Die Verbindung von Bußsakrament und Alltag hält der Linzer Dompfarrer Maximilian Strasser für entscheidend: „Feiern wir im Bußsakrament das, was im Alltag des Lebens geschieht? Feiern wir Versöhnung, die schon geschehen ist, als Dank, und Versöhnung, die noch aussteht, als Zeichen der Hoffnung und Zusage von Vergebung?“
Ganz anders in Brasilien
Eine andere Form als eine Bußfeier mit abschließender Generalabsolution wäre in Barreiras gar nicht möglich gewesen, erklärt P. Arno Jungreithmair OSB, Pfarrer in Kremsmünster und sieben Jahre lang Pfarrer in Brasilien. Die Praxis der jährlichen Einzelbeichte für jeden Gläubigen hat es dort aufgrund der geringen Priesterzahl nie gegeben, daher ist auch – anders als in Europa – keine Beichttradition abgebrochen. Die Gläubigen haben die Möglichkeit, nach der Bußfeier persönlich mit einem Priester zu sprechen, gerne in Anspruch genommen. Aber das war nur für wenige möglich. Sr. Bernadette Aichinger OSB war ebenfalls in Brasilien tätig. Ihr fiel auf, dass die Menschen viel untereinander geklärt haben. Vor allem vor Festen haben die Verantwortlichen in den Basisgemeinden getrachtet, dass wieder alle versöhnt Gottesdienst feiern können.
Impuls
Vier Schritte Jesu auf die Menschen zu
Der Brixener Moraltheologe Martin Lintner ging in seinem Referat beim Studientag „Sehnsucht nach versöhntem Leben“ auch auf die biblischen Aspekte von Sünde ein.
Es gibt im Hebräischen nicht ein Wort, sondern vier Begriffe für Sünde: - Ein erster Begriff ist übersetzbar mit das Ziel verfehlen, sich abwenden und damit eine Beziehung abbrechen. - Ein zweites Wort beschreibt Sünde als Recht brechen. - Drittens wird Sünde auch als Krümmen und Verdrehen charakterisiert und nimmt so die Folgen des Vergehens in den Blick. - Schließlich gibt es das Irren, Verirren, in dem die Komponente des Tragischen und Unabsichtlichen mitschwingt. Diesem viergestaltigen Sündenbegriff stellt Lintner vier Weisen der Zuwendung Jesu zu den Menschen gegenüber: - Jesus geht auf die Menschen zu, damit sie sich wieder Gott zuwenden; - er heilt gebrochene Beziehungen; - er nimmt die Folgen der Sünde auf sich, um ihre Wirkmacht zu brechen; - er geht den Verirrten nach.
Hintergrund
Leere Beichtstühle
Alois Rockenschaub ist seit 29 Jahren in der Pfarre Ebensee (Salzkammergut) als Priester tätig. Die Pfarre zählt an die 5500 Katholiken. Dechant Rockenschaub berichtet von seinen Erfahrungen mit der Beichte.
„Ich biete wöchentlich Beichtzeiten an. Die Anzahl derer, die kommen, ist in den letzten Jahren gleich null geworden. Auch zu Ostern und Weihnachten kommen nur mehr wenige Menschen.“ Als Grund für den De-facto-Zusammenbruch der sakramentalen Form der Einzelbeichte in der Pfarre – Ebensee bildet da sicher keine Ausnahme – sieht er einen grundlegenden Wandel in der Gesellschaft: „Man muss schauen, wo die Menschen heute Versöhnung suchen“. Priester gefragt. Bei der Sakramentenvorbereitung rund um die Trauung zum Beispiel kommen oft Erfahrungen zur Sprache, wo die Betroffenen nach Versöhnung suchen. Auch bei Krankheit und Tod erfährt Pfarrer Rockenschaub, dass er als Priester gefragt ist. Sehr positiv erlebt er die Schulbeichten. Er nimmt sich dafür auch bewusst Zeit.
Zentrum für Beichte. Die Priester des Dekanates bieten in Bad Ischl wöchentlich zwei Stunden Beicht- und Aussprachemöglichkeit an. Zur selben Zeit ist auch die Familienberatungsstelle geöffnet. Das Aussprachezimmer wird nicht gerade gestürmt, aber das Angebot in einer Kurstadt wie Bad Ischl hält Pfarrer Rockenschaub für sehr wichtig.