Schüler haben ein Recht auf ethisch-sittliche Bildung
Ausgabe: 2002/50, Ethik, Luxus, Bucher
11.12.2002 - Kirchenzeitung der Diözese Linz
Heuer haben zum ersten Mal Schüler/-innen im „Ersatzfach“ Ethik maturiert. Der Religionspädagoge Anton Bucher ist für den weiteren Ausbau des Ethikunterrichts.
An über hundert Schulen in Österreich wird heuer ein Ethikunterricht angeboten. Die Möglichkeit, sich an diesem Schulversuch zu beteiligen, haben bisher nur die Oberstufen (ab 14) der Gymnasien und die berufsbildenden höheren Lehranstalten. Der Salzburger Religionspädagoge Anton Bucher, der im Auftrag des Bildungsministeriums den Ethikunterrich unter die Lupe genommen hat, tritt für einen schrittweisen Ausbau dieses Unterrichtsfaches ein. „Es wäre wünschenswert“, so Bucher, „dass in absehbarer Zeit, ähnlich wie in Bayern, an allen Schulstufen, wo mehr als fünf Schüler/-innen nicht am Religionsunterricht teilnehmen, Ethik als Pflichtfach angeboten wird.“ Im Bildungsministerium ist man derzeit noch zurückhaltend (s. Kasten).
Initiative von unten
Nach österreichischem Gesetz gehört es zu den Zielen der Schule, an der sittlich-religiösen Bildung der Kinder und Jugendlichen mitzuwirken. „Der konfessionelle Religionsunterricht leistet nachweislich einen wichtigen Beitrag, dass Schüler/-innen selbständig und verantwortlich in Fragen des Glaubens, der Ethik und der Moral denken lernen“, betont Bucher. Da sich an vielen Schulen zunehmend mehr Schüler/-innen vom Pflichtfach Religion zugunsten zweier Freistunden abgemeldet haben und die Zahl der Jugendlichen, die keiner anerkannten Religionsgemeinschaft angehören, wächst, sei von den Schulen selber der Ruf nach einem Ethikunterricht gekommen, sagt Bucher. Er habe ausführliche Gespräche mit Lehrkräften jener Schulen in Vorarlberg, Tirol und Wien, die als Erste mit dem „Ersatzfach“ Ethik begonnen haben, geführt. „Dabei wurde sehr deutlich, dass im Vordergrund pädagogische Motive standen. Es ging nicht darum, den Religionsunterricht zu stützen, sondern den Schüler/-innen wenigstens etwas von einer explizit ethischen Bildung zu vermitteln.“
Auch wenn seine Studie nachweise, dass der Ethikunterricht keineswegs, wie manche befürchtet haben, zur Konkurrenz für den Religionsunterricht wird, sondern die Abmeldungen eindämmt, sieht Bucher darin nicht seine Funktion. „Er hat eine eigenständige, wichtige erzieherische Bedeutung. Deshalb schlage ich vor, Ethik nicht als ,Ersatzfach‘ zu bezeichnen, sondern als Pflichtfach für alle, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen. Das würde dem Fach auch innerhalb der Schule mehr Gewicht geben.“
Was Schüler lernen
Wenn man nicht gerade erwarte, dass aus dem Ethikunterricht lauter Mahatma Gandhis herauskommen, so sei er auf einem guten Weg, fasst Bucher ein weiteres Ergebnis der Studie zusammen. Als realistische Ziele nennt er: Er soll ethisch relevantes Wissen wie z. B. den Unterschied zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe vermitteln. Weiters sollen Schüler/-innen lernen, ethisch zu reflektieren. Dazu gehöre, ethische Probleme aus verschiedenen Perspektiven wahrzunehmen und Positionen sachgerecht zu begründen. Auch Toleranz gegenüber anderen Auffassungen – ohne falsche Beliebigkeitshaltung – soll vermittelt werden. Und schließlich zeige die Praxis, dass das Interesse an einem Grundwissen über die Religionen groß sei.
Auch wenn die Schüler/-innen meinen, dass der Ethikunterricht auf ihre persönliche Moral wenig Einfluss habe, so könne man an Hand einer Langzeitstudie Einstellungsveränderungen bemerken, betont Bucher. So etwa sei innerhalb eines Jahres die Ausländerfeindlichkeit um die Hälfte zurückgegangen; die Haltung, dass alles relativ (weder richtig noch falsch) ist, hat immerhin um 22 Prozent abgenommen.
ZUR SACHE
Stillstand
Vor einem Jahr hat Bildungsministerin Elisabeth Gehrer die Ergebnisse einer Studie über den Schulversuch Ethikunterricht vorgelegt. Autor der Untersu-chung ist der Religionspädagoge Anton Bucher. Im Jahr 1996/97 wurde erstmals Ethik als verpflichtendes „Ersatzfach“ für Oberstufen-Schüler/-innen, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, angeboten.
Ministerin Gehrer stellte fest, dass sich der Ethikunterricht bewährt habe. Und sie kündigte an, dass nun rasch ein Rahmenlehrplan erstellt werden müsse, in dem die Ziele und die wesentlichen Inhalte formuliert werden. Derzeit wird in den über 100 Versuchsschulen nach unterschiedlichen Lehrplänen unterrichtet. Gehrer kündigte auch an, dass eine Bedarfserhebung für eine flächendeckende Einführung an den Oberstufen gemacht werde. Dabei sollten auch die Mehrkosten erhoben werden.
Seither aber ist kaum etwas weitergegangen, bedauert Studienautor Anton Bucher. Es wurde nicht einmal die Arbeitsgruppe für den notwendigen Lehrplan einberufen. Das bedeutet auch, dass die Arbeit an den Lehrbüchern in der Luft hängt. Auch die Bedarfserhebung wurde nicht durchgeführt. Vorerst wurden lediglich die Schulversuche um zwei Jahre verlängert. Der Lehrplan, so heißt es im Ministerium, soll im Zuge der geplanten Oberstufenreform kommen. Wann, ist ungewiss. Bucher bedauert die Säumigkeit, weil dadurch viele Jugendliche keine spezifische ethische Bildung bekommen. Ob das nur an den Kosten scheitere, wisse er nicht. Er fordert von der Politik mehr Verantwortung für die ethische Erziehung der Jugend.
Univ.-Prof. Dr. Anton Bucher, Religionspädagoge an der Uni Salzburg, hat den Ethikunterricht evaluiert.