Das Lehrschreiben von Papst Franziskus über Ehe und Familie ist so umfangreich, dass man sich in der Fülle der Themen gar nicht leicht zurechtfindet. Franz Harant, Beziehungs-, Ehe- und Familienseelsorger der Diözese Linz, hebt zentrale Inhalte von „Amoris Laetitia“ hervor und zeigt, was sie für die pastorale Praxis bedeuten.
Was war Ihr erster Eindruck, als Sie „Amoris Laetitia“ in die Hände bekamen? Franz Harant: Schon nach den ersten Abschnitten war ich beeindruckt. Diese einfühlsame und wohlwollende Sprache hat mich in ihren Bann gezogen.
Warum ist die Sprache so wichtig? Harant: Weil sie selbst schon eine Botschaft ist. Die Sprache von Papst Franziskus stellt sich gegen jede vorschnelle Verurteilung. So sagt er zum Beispiel, dass die Hirten moralische Gesetze nicht wie Felsblöcke auf das Leben der Menschen werfen dürfen. Seine Sprache, nicht nur in diesem Schreiben, macht deutlich, dass er unglaublich nahe am Leben ist. Was ist Ihnen am Inhalt aufgefallen? Harant: Mich hat an „Amoris Laetitia“ angesprochen, wie die Tradition der Kirche verbunden wird mit der Einladung, sie mit den komplexen Lebenssituationen der Menschen heute in Einklang zu bringen. Und die hohe Achtung vor dem Gewissen des Einzelnen fällt auf. Die Menschen dürfen ihrem Gewissen trauen, das empfiehlt Papst Franziskus übrigens auch den Seelsorgenden. Das Schreiben des Papstes lädt die Seelsorgerinnen und Seelsorger zu einem pastoralen Weg ein, nämlich respektvoll hinzuschauen, zu unterscheiden und kompetent zu begleiten – wohl wissend, dass solche Wege mühsam sein können. Der springende Punkt, auf den sich die Aufmerksamkeit der letzten Wochen fokussiert hat, ist die Frage nach den wiederverheirateten Geschiedenen. Da bleibt ja der Papst recht vage. Harant: Nein, der Papst sagt sehr genau, was ihm wichtig ist. Das Ideal der unauflöslichen Ehe ist zu beachten, aber er richtet den Scheinwerfer der Frohbotschaft auf die Lebensrealität der Menschen, die in einer zweiten Ehe leben. Ich nenne sie bewusst nicht geschiedene Wiederverheiratete, denn ob es uns als Kirche passt oder nicht, die Betroffenen fühlen sich als Eheleute, auch wenn ihnen bewusst ist, dass das keine sakramentale Ehe sein kann. Der Papst will die Integration aller, und zwar in bedingungsloser Barmherzigkeit. Da ist er auch sehr klar! Also, was sagt der Papst denen, die in einer zweiten Ehe leben? Harant: Papst Franziskus sagt ihnen: Ihr gehört zur Kirche und für euch gilt das Evangelium. Ihr lebt die Liebe und ihr dürft Freude an eurer Liebe haben und ihr braucht kein schlechtes Gewissen zu haben. Wichtig ist aber, dass ihr eure Vergangenheit klärt, dass ihr euch so weit wie möglich mit dem Partner aus der ersten Beziehung versöhnt. Begebt euch auf diesen Weg, denn eure Zukunft hat nur dann eine Chance, wenn die Vergangenheit gelten darf. Und wie ist es nun mit dem Kommunionempfang? Harant: Der Papst legt aus meiner Sicht die Verantwortung in die Hände der Betroffenen. Man muss jedem Einzelnen helfen, seinen eigenen Weg zu finden, an der kirchlichen Gemeinschaft teilzuhaben und für sich die Fülle des göttlichen Planes zu erreichen, wie der Papst schreibt. Das kann konkret heißen, dass diese Menschen um die Beichte bitten, dass sie aus ihrem Gewissen heraus das Brot des Lebens als Heilmittel für ihr Leben empfangen oder dass sie um Gebet und Segen für ihr Leben in zweiter Ehe bitten. Warum ist die Öffnung des Sakramentenempfangs in einer Fußnote des Dokuments versteckt und dazu noch sehr zaghaft formuliert? Harant: Weil es dem Papst wirklich um den Einzelnen geht, darum verordnet er keine generelle Lösung von oben herab. Er schickt die einzelnen auf einen persönlichen Weg des Glaubens, der zu einer persönlichen Entscheidung führt. Und der Papst ermutigt die Ortskirchen, Strukturen der Begleitung für die betroffenen Paare zu schaffen.
Diese Strukturen der Begleitung gibt es in der Diözese Linz seit genau 30 Jahren. Im April 1986 wurde dazu von Dechantenkonferenz, Priesterrat und Pastoralrat eine Orientierung verabschiedet. Harant: Ja, seither stehen eigens ausgebildete Seelsorger und Seelsorgerinnen zur Verfügung, die Menschen zur Gewissensentscheidung führen. Denn wir haben weder etwas zu erlauben noch zu verbieten, sondern die Menschen respektvoll zu begleiten, sodass sie selbst zu einer wohlbegründeten Gewissensentscheidung kommen. Dieser Weg hat sich bewährt und es ist eine Freude, dass ihn Papst Franziskus nun so ausdrücklich empfiehlt und damit auch unsere langjährige Praxis bestätigt.
Wie wird es jetzt in der Diözese Linz weitergehen? Harant: Wir werden alle, die bis jetzt als Seelsorgende tätig waren und sind, einladen und ihnen für ihren bisherigen Dienst danken, sie ermutigen, weiterzumachen. Zudem werden wir auch weitere Seelsorgerinnen und Seelsorger ausbilden. Sie haben Organisatorisches angesprochen, werden Sie auch inhaltlich verstärkt Impulse setzen? Harant: Papst Franziskus hat geschrieben, wie das Leben tickt. Da gehört für mich der Wunsch der Menschen, die in zweiter Ehe leben, nach Segensfeiern dazu. Die Erfahrung zeigt, dass viele die Sehnsucht haben, ihre neue Beziehung, das Kostbare ihrer Liebe und die Freude daran sowie die Mühen des Alltags unter den Schutz Gottes zu stellen. In „Amoris Laetita“ kommen aber solche Segensfeiern nicht vor. Harant: Ich glaube, der Papst lässt manches offen, vertraut aber darauf, dass verantwortliche Pastoral das tut. Segensfeiern sind im Geist des Dokuments. Manche meinen, Papst Franziskus ist nicht weit genug gegangen und zu wenig konkret geworden. Harant: Was Papst Franziskus auf den Weg gebracht hat, wird weitergehen. Es wird Wirkung tun und für viele Menschen eine wohltuende Wirklichkeit werden. Es ist einfach schön, mit einem solchen Papstschreiben in die Seelsorge gehen und die Menschen entlang und in ihren Lebensbrüchen begleiten zu dürfen.
- Der Text des Päpstlichen Lehrschreibens „Amoris Laetitia“ findet sich unter https://w2.vatican.va/content/vatican/de.html