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Uraltes, handgeschöpftes Papier, das nach längst vergangen Tagen riecht und von dem ein paar winzige Papierbröckchen abbröseln, zieht Magdalena Kainberger aus einem der riesigen, dunklen Holzschränke, in dem sich zahllose Notenblätter übereinanderstapeln. Sie sitzt im Archiv des Kirchenchores in Frankenmarkt, hoch über dem Altar, im hinteren Teil der Empore, wo sich auch die Orgel befindet. Ein zarter Duft nach alter Druckerschwärze zieht ihr in die Nase, als sie die handschriftliche Komposition genauer betrachtet. „Michael Haydn“ liest sie am oberen Rand der Seite. „Du Papa, ich habe da etwas Interessantes entdeckt“, ruft sie ihrem Vater Michael Kainberger zu, der neben ihr ebenfalls durch das Notenarchiv stöbert, um sich als neuer Leiter des Kirchenchors einen Überblick über den Bestand zu verschaffen.
So lief es ab, als die 17-jährige Magdalena, Schülerin des Adalbert-Stifter-Musikgymnasiums in Linz, vor etwa einem Jahr die verschollene „Messe in C“, oder auch die „Frankenmarkter Messe“ genannt, von Michael Haydn fand. „Natürlich stellte sich die wahre Urheberschaft erst nach intensiver Recherche und zahllosen, nicht immer freundlichen E-Mails und Telefonaten mit Musikwissenschaftlern und Experten heraus“, erzählt Magdalena. Das Problem war, dass sich der Fund keinem bisher bekannten Werk zuordnen ließ. In Haydns eigenhändigem Werkverzeichnis ist aber von einer „Missa in C“ die Rede, die in anderen musikwissenschaftlichen Registern allerdings als „verschollen“ geführt wurde. Beim Vergleich mit einer Abschrift der Messe, die sich in der Bibliothek des Benediktinerstifts Lambach befindet, wurde erst die wahre Sensation offenbar, wie Magdalena beschreibt: „Wir erkannten, dass es sich bei meinem Fund um eine vollständige Sammlung aller Chor- und Instrumentenstimmen handelt.“ Bei der Lambacher und auch anderen Abschriften fehlen einige Stimmen, weshalb das Werk auch nie offiziell in das Werkverzeichnis aufgenommen worden war.
Auch wenn die wissenschaftlichen Untersuchungen noch nicht gänzlich abgeschlossen sind, gilt die Urheberschaft mittlerweile als gesichert, sodass die Messe zu Pfingsten erstmals wieder aufgeführt werden konnte. Mitgewirkt haben dabei der Kirchenchor Frankenmarkt, die Rhythmusgruppe Frankenmarkt und der Kammerchor Gmunden samt Orchester. Möglich gemacht hat es Magdalena: „Monatelang habe ich am Computer die einzelnen Chor- und Instrumentalstimmen in ein Notenschreibprogramm übertragen, um sie dann zu einer Partitur zusammenzufügen.“ Die Herausforderung dabei sei gewesen, dass damals noch andere Schlüssel verwendet wurden als heute üblich. „Den Generalbass etwa kann heute keiner mehr spielen“, sagt Magdalena, die selbst Klavier spielt.
Auch nach der Fertigstellung der Partitur lässt der Komponist die junge Frau nicht los. „Ich beschäftige mich in meiner vorwissenschaftlichen Arbeit für die Matura weiterhin mit Michael Haydn und seiner Biografie, außerdem werde ich die Messe stilistisch und formal analysieren“, so die Mendelssohn-Liebhaberin, die offenbar auch das Haydn-Fieber gepackt hat: „Er war ein großartiger, aber unterschätzter Kirchenmusiker, der sehr im Schatten seines Bruders Josef stand.“ Dieser machte weltliche Musik zu seiner Domäne, weshalb sich Michael wohl der Kirchenmusik verschrieb. Das Besondere an seinen Werken sei die oft verwendete Einstimmigkeit – zur damaligen Zeit eher unüblich – und der intensive Einsatz von Tonmalerei. Außerdem verwende er gerne den sogenannten „stilus mixtus“, in dem sowohl barocke als auch klassische Elemente enthalten sind.
Musik und insbesondere auch Kirchenmusik hat für Magdalena, die nach der Matura ein musiktheoretisches Studium beginnen möchte, große Bedeutung. „Wenn es gute Musik mit Chor und Orchester gibt, gehen die Leute viel lieber in die Kirche, und bekommen einen viel besseren Bezug dazu. Ohne Musik würde das nicht funktionieren“, sagt sie voller Überzeugung.
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