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Kirche mischt sich ein, bringt sich ein. Was bei Linz09 im urbanen Raum vor mehr als zehn Jahren bereits erprobt und gelebt wurde, soll nun seine Fortführung im ländlichen Raum finden: Die Kulturhauptstadt Salzkammergut ist eröffnet.
Vom Bahnhof zur Trinkhalle – der ersten Anlaufstelle für die Kulturhauptstadt 2024 – sind es nur wenige Gehminuten. Dort herrscht am Samstagvormittag schon reges Treiben. Besucher:innen, Künstler:innen, Journalist:innen wuseln durch das Gebäude, einzelne Projekte werden präsentiert für Groß und Klein.
Erstaunlich, wieviele Menschen man hier zufällig trifft, auch viel kirchliche Mitarbeiter:innen sind zu sehen. Zur offiziellen Eröffnung um 17 Uhr werden 15.000 Gäste erwartet, viele sind schon Stunden vorher da.
Gegenüber der Trinkhalle ist die Stadtpfarrkirche St. Nikolaus. Sie liegt eine Etage höher als das Straßenniveau. Von unten sind einige bekannte Personen zu erkennen, die am Zaun stehen und in die Menge winken.
Unter ihnen ist Teresa Kaineder. Sie ist Leiterin für die kirchlichen Projekte, Ansprechpartnerin, Vorantreiberin und Vernetzerin. Warum hat sich die Diözese entschieden, hier dabei sein zu wollen? Kaineder sagt dazu: „Die Kulturhauptstadt stellt die Region in einen besonderen Rahmen und fordert neue Perspektiven und Auseinandersetzungen. Kunst kann aufrütteln, verbinden, verstören, erheben. Sie hat eine große Kraft, die wir auch als Kirche in der Region in diesem Jahr besonders nutzen wollen. Gleichzeitig darf sie zweckfrei sein und erinnert uns daran, wer wir sein könnten als Menschen. Als Kirche und Gesellschaft stehen wir vor diversen Herausforderungen, in denen wir diese Erinnerung gut brauchen können.“
Blicke zurück und Blicke nach vorne: Wo stehen wir? Wo wollen wir als Gesellschaft hin? Fragen wie diese werden bei den insgesamt 300 Projekten im Kulturhauptstadtjahr verhandelt. Manches dabei wird berühren, irritieren, aufregen. Das hat schon das offizielle Eröffnungsprogramm mit Künstler:innen wie Hubert von Goisern, Conchita und Doris Uhlich mit ihrem Tanz-Ensemble gezeigt.
Kirche ist Teil dieser ersten regionalen Kulturhauptstadt, was auch am Eröffnungswochenende sichtbar war. Ein zeitgenössisches Orgelkonzert mit Schlagwerk gab es am Samstag schon vor der offiziellen Eröffnung. Die Kirche war dabei so voll, dass etliche stehend lauschten.
Abends ist der Pfarrsaal voll besetzt: Volksmusik, Klassik und Jazz an einem Abend, alles hat hier Platz.
Tags zuvor hatte der Glögglwaggon die Ohren spitzen lassen: Der mit großen und kleinen Glocken bestückte Waggon fuhr klingend von Attnang-Puchheim bis Stainach-Irdning, ein Zusammenläuten der anderen Art. Die jeweiligen Kirchenglocken in den Gemeinden antworteten mit ihrem Glockengeläut.
Eine akustische Verbindung, die auch räumlich ihren Niederschlag fand beim Eröffnungsgottesdienst mit Kulturbischof Hermann Glettler am Sonntag (siehe unten). Alle Partnerpfarren waren eingeladen worden, gemeinsam zu feiern und Wasser aus ihren Pfarrgemeinden mitzubringen. Im Taufbecken verband sich, was dann von Bischof Glettler gesegnet wurde: Aus vielen Wassern wurde ein Taufwasser.
Pfarrer Christian Öhler hat viel Vernetzungsarbeit in dieses Kulturprojekt gesteckt. Unermüdlich hat er Ideen verfolgt, Menschen zusammen gebracht, Projekte ermöglicht. Das hat auch Katharina Pointner, Mitglied im Pfarrgemeinderat so erlebt. „Unser Pfarrer ist sehr umtriebig, ein Netzwerker, der Grenzen überschreitet. Er schafft es, Verbindungen herzustellen und das Verbindende zu sehen.“ Wenn Bad Ischl Kulturhauptstadt wird, dann müsse Kirche dabei sein, war Öhlers Ansatz, erzählt sie.
Dem Ischler Pfarrer ist es wichtig, „dass wir nun aufhören, uns mit uns selbst zu beschäftigen und die Nabelschau hinter uns lassen. Die Kulturhauptstadt ermöglicht uns, uns mit vielen Formen von Kultur auseinander zu setzen, unser Denken und unseren Horizont zu weiten.“ Im pfarr-, dekanats- und diözeanübergreifenden Gottesdienst war dies spürbar. Mit der Vorstellung des Großen Welt-Raum-Wegs von Christoph Viscorsum ist der erste Teil der kirchlichen Projekte am Sonntagnachmittag auf Schiene gebracht worden.
Wie sieht das erste Resümee von Kaineder nach der Eröffnung aus? „Im Rückspiegel betrachtet war es ein unglaublich dichtes und wunderbares Wochenende! Die kirchlichen Akzente und Kooperationen an diesem Wochenende sind in ihren Ideen voll aufgegangen.“ Erfreulich sei die hohe Beteiligung der unterschiedlichen Pfarrgemeinden gewesen.
Nächster Programmpunkt: Hallstatt. Dort heißt es am ersten Fastensonntag „Über die Schwelle treten“. Gemeinsam mit dem Fachbereich für Kunst und Kultur und den Kuratorinnen Martina Gelsinger und Anja Ellenberger werden künstlerische Positionen zum Thema Tod und Vergänglichkeit an mehreren kirchlichen Orten gezeigt. Zur Eröffnung mit Künstlerin Haruko Maeda feiert Bischof Manfred Scheuer um 10 Uhr einen Gottesdienst.
Den Eröffnungsgottesdienst leitete Kulturbischof Hermann Glettler: „Erfreulicherweise hat sich die Kirche hier vor Ort in das Programm der Kulturhauptstadt eingemischt. Mit einem ansprechenden Programm – kreisend um die bei Weitem nicht selbstverständliche Lebensressource Wasser. Gratulation dazu! Glaube und Kultur, Kirche und Kunst sind Geschwister. Auch wenn beide Lebensbereiche immer reformbedürftig bleiben, um sich nicht in Eigenwelten zu verlieren: Den Kampf gegen die Banalisierung des Lebens und gegen die Übergriffigkeit einer rein materialistischen Auffassung unseres Daseins führen sie gemeinsam. Eine gemeinsame Notwehr gegen den rein `technokratischen Zugriff´ auf unsere Welt, wie es Papst Franziskus nennt, der stets einen sehr weiten Kulturbegriff verwendet und wiederholt von einer `Kultur der Begegnung´ und einer `Kultur des Dialogs´ spricht.“ – So klangen die einleitenden Worte aus der Predigt von Bischof Glettler beim Eröffnungsgottesdienst mit allen 32 Pfarrgemeinden.
Glettler benennt drei Aufträge der Geschwister Kunst und Kirche, zum ersten die „Schwerarbeit Prophetie: Kunst der kritischen Intervention“. Anküpfend an die Lesung – Jona ruft Ninive zur Umkehr auf – deutet Glettler die Jona-Geschichte als prophetische Ansage an uns: „Sind wir zu einem Wandel bereit, zu einem Hören auf Gott und zu einer echten Umkehr unserer Lebensstile zugunsten einer größeren Achtsamkeit und Gerechtigkeit?“, fragt Glettler und verweist auf den Künstler Joseph Beuys: „Kunst kommt von Künden.“ Kunst sei Ansage, Kunst habe einen Auftrag. Es gehe nicht um eine bloß technische Beherrschung visueller Ausdrucksmittel, sondern um die Kompetenz, in der Bilderflut eine Intervention zu tätigen, die bewegt, die Menschen errreicht. Manches davon werde als provokant und irritierend erlebt, sagt Glettler und erinnert an die Bedeutung des Wortes provokant aus dem lateinischem „provocare“ und übersetzt es mit „herausgerufen werden“.
Zwei weitere Aufträge von Kunst und Kirche nennt Glettler: „Frohbotschaft gegen Gewalt – Kunst formuliert Alternativen“ und „Berufung zum Dienst – Kunst der solidarischen Vernetzung“.
Serie zum Thema Beten von Bischof Glettler
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