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Unter der Drachenwand, einer schroffen, fast senkrechten Felswand im Süden des Mondsees, siedelt Arno Geiger den Schauplatz seines aktuellen, von der Kritik hochgelobten Romans an. Er spielt im vorletzten Jahr des Zweiten Weltkriegs. Veit Kolbe, ein junger Soldat aus Wien, will, entnervt von den Durchhalteparolen seiner Eltern, seinen Genesungsurlaub beim Bruder seines Vaters in Mondsee verbringen. Mehr noch psychisch als körperlich verwundet, wartet er, der nach Abschluss der Schule nichts anderes als den Krieg kennengelernt hat, dort auf den Untergang des 1000-jährigen Reiches. Neben Onkel Johann, dem Gendarmeriekommandanten, trifft Veit in Mondsee auf eine dem Regime treu ergebene, weitum gefürchtete Zimmerwirtin und deren Bruder, der eine Gärtnerei betreibt und sich als Nazi-Gegner auch kein Blatt vor den Mund nimmt. Mit diesem, dem Brasilianer, wie er von allen genannt wird, freundet Veit sich an. Dann ist da noch Margot aus Darmstadt mit ihrer kleinen Tochter, seine Zimmernachbarin im Quartier. Zwischen Veit und Margot entwickelt sich eine Liebesbeziehung (die in einer lebenslangen Ehe mündet, wie man im Nachwort erfährt). Weitere Rollen im Geschehen spielen eine Gruppe junger Mädchen mit ihrer Lehrerin, die im Zug der Kinderlandverschickung ihre Zeit in Schwarzindien verbringen, einer tatsächlich so genannten Ortschaft am Fuß der Drachenwand. Zwei Parallelgeschichten ergeben sich aus den Briefen von Margots Mutter, die vor allem die riesigen Zerstörungen in den deutschen Städten in die kleine Mondseer Welt hineinbringen, und die unabhängig davon erzählte Geschichte des Wiener Juden Oskar Meyer, der mit seiner Familie quer durch Osteuropa seiner Vernichtung entgegengeht.
Eindrucksvoll gelingt es Arno Geiger, die Gegenwart des Krieges, die Ignoranz, die Verzweiflung, die Angst, aber auch die Träume und Hoffnungen in seinen Figuren spürbar werden zu lassen.
Arno Geiger, Unter der Dachenwand, München 2018, Hanser.
Der eine – Bruno – mietet eine Wohnung dazu, um mehr Platz für seine sich ununterbrochen vermehrenden Unterlagen zu haben, die anderen kaufen lang schon nichts Neues mehr, können sich aber auch von Altem nicht trennen, die dritten wohnen in einem alten Schloss und müssen Geld verdienen, um all den Krempel zu erhalten. Gewohnt humorvoll und mit Mitteln der Übertreibung setzt sich die in Linz lebende Autorin mit einem Phänomen unserer Zeit auseinander, mit dem nicht nur Schriftsteller/innen – sie sind die Hauptpersonen in Schreiners Buch – zu kämpfen haben, sondern der Großteil der Menschen heute: mit dem Zuviel an materiellen Dingen und dem Zuviel an äußeren Einflüssen auf den Einzelnen. Schreiners Protagonisten kämpfen dagegen an, wenn auch selten erfolgreich. „Wahrscheinlich ist der Mensch an sich ungeeignet für die Welt“, resümiert Schreiner mit der ihr eigenen Ironie. Wie die Autorin über all die unzulänglichen Ordnungsversuche, die alltäglichen Enttäuschungen und zunehmenden (altersbedingten) Beschwernisse des Lebens lamentiert, ist höchst amüsant, stellenweise zum Tränenlachen. Jammern auf hohem Niveau, könnte man meinen, würden nicht immer wieder die ernsten, die existenziellen Fragen durchklingen. Es geht auch ums Sterben und darum, dass das letzte Hemd keine Taschen hat.
Margit Schreiner, Kein Platz mehr, Frankfurt am Main, 2018, Schöffling u. Co.
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