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Es ist ein bezeichnender Moment, wenn die beiden Bäcker Georg Öfferl und sein Cousin Lukas Uhl von der Biobäckerei Öfferl in Niederösterreich auf der großen Bäckereimesse in München einen Roboter betrachten, der ein Sandwich herstellt und dann auch noch belegt. Georg Öfferl merkt dazu an, dass das mit Brotbacken nichts mehr zu tun habe, der Bäcker würde zum Beobachter einer Maschine degradiert. – Der Kommentar entspricht exakt einer Beobachtung des US-amerikanischen Soziologen Richard Sennett aus dem Jahr 1998 (!), wie er sie in seinem Buch „Der flexible Kapitalismus“ wiedergegeben hat: „Das computergesteuerte Backen hat die ballettähnliche Tätigkeit am Arbeitsplatz tiefgreifend verändert. (…) Als Resultat wissen die Bäcker allerdings nicht mehr, wie Brot eigentlich gebacken wird.“
„Brot“, der neue Film des österreichischen Dokumentarfilmers Harald Friedl, weist erstaunlich viele Parallelen mit den Erkenntnissen von Sennett auf. 20 Jahre nach Erscheinen seines Buchs scheint alles, was der Soziologe konstatiert hat, Realität geworden zu sein.
Der Auslöser war für Friedl eigentlich ein längerer Aufenthalt in Los Angeles, wo er das österreichische Brot sehr vermisst hat. Das Interesse für Brot war dadurch entfacht. Ausgehend von einigen grundsätzlichen Fragen begann er zu recherchieren: Wer sind die besten Bäcker? Wie arbeiten sie? Welchen ethischen Prinzipien folgen sie? Wie sehen die Räume aus, in denen sie backen? – Nicht überall bekam er Drehgenehmigungen. Vor allem Großunternehmen lassen sich nicht gerne in die Karten blicken. Das Ergebnis bietet aber trotzdem einen hochinformativen Einblick in die verschiedenen Möglichkeiten der Brotherstellung. Im Film ist jederzeit auch die Vertrauensbasis spürbar, die Friedl zu den porträtierten Bäckern aufgebaut hat. Dass die kleineren Betriebe sympathischer wirken, bedeutet noch nicht, dass Friedl agitatorisch handelt. Vielmehr bekommt man einen Überblick über die verschiedenen Trends in der aktuellen Brotproduktion.
Friedl porträtiert verschiedene Biobetriebe, wie den schon erwähnten der Familie Öfferl in Gaubitsch, die sich von den gängigen Fertigmischungen verabschiedet hat, weil sie sich dadurch nicht mehr von den Supermarktbackstuben unterschieden hat oder die Bäckerei von Apollonia Poilâne in Paris. Sie hat das Geschäft von ihrem Vater übernommen, um ihm Respekt zu erweisen. Bei ihr kann man Brot auch in Scheiben kaufen, was die Kunden stärker an die Bäckerei bindet. Noch extremer ist Christophe Vasseur, der nur eine Betriebs-/Verkaufsstätte in Paris führt und sich kämpferisch als Ökoaktivist präsentiert. Immer wieder spricht er vom Zeitfaktor. Gutes Brot würde Zeit brauchen, um alle Aromen entfalten zu können und vor allem für die Verdauung bekömmlich zu sein.
Das exakte Gegenteil ist der Großunternehmer Hans-Jochen Holthausen, der Erfinder des „Prebake“-Systems. „Harry-Brot“ ist Marktführer in Deutschland. Mit Teig in Berührung sieht man Holthausen im Film nie. Sein Arbeitsmaterial sind Daten, sein Lieblingswerkzeug das Tablet. Er produziert schnell und billig und erreicht damit viele Kunden. Billiges, aber gutes Brot zu erzeugen, ist auch das oberste Ziel von Karl de Smedt. Er hütet die Sauerteigbank in St.Vith, Belgien. Für ihn ist Brot Wissenschaft. Der Ort, an dem er wirkt, erinnert an ein Setting aus einem Science-Fiction-Film. Irgendwie möchte man sich nicht vorstellen, solche Produkte zu konsumieren. Insgesamt aber ist Friedl ein Film gelungen, der Appetit auf Brot macht. Man sollte sich vor dem Kinobesuch noch reichlich mit gutem Brot eindecken.
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