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In einer der Holzbaracken von Schmalensee, einer Siedlung am Fuß des Karwendelgebirges in Oberbayern, ist der Autor als jüngstes von acht Kindern in einer Instrumentenbauer-Familie aufgewachsen. Michael Frank, ehemaliger Auslandskorrespondent der Süddeutschen Zeitung, u. a. in Österreich, wurde 1947 im oberbayerischen Mittenwald im Karwendelgebirge geboren, dem Schauplatz seiner autobiographischen Erzählung „Schmalensee“. Es ist eine Nachkriegskindheit in heute schwer vorstellbarer ländlicher Abgeschiedenheit, die geprägt ist von der Kargheit und Härte der Natur, von materiell bescheidenen Verhältnissen, von einem autoritären Vater und einer frommen, aber sehr an Bildung interessierten Mutter, von Religion, Kirche und Schule und den Nachwirkungen von Krieg und Nazizeit. Frank schildert diese Kindheit im Dorf und später die Jugendzeit im Internat aus der Distanz dessen, der seinen Weg gemacht hat. Berührend, authentisch und humorvoll. Und sprachlich ein Genuss. (Wenngleich bereits das erste Wort einen grammatikalischen Fehler aufweist, der allerdings dem Verlag zuzuschreiben ist.)
Michael Frank: Schmalensee. Picus, Wien 2020, 250 S., € 22,–. ISBN 9783711720962
Bereits Pontius Pilatus kannte die Frage: Was ist Wahrheit? Dem Johannes-Evangelium zufolge antwortet der römische Statthalter mit dieser Frage auf Jesu Rechtfertigung, gekommen zu sein, um „Zeugnis für die Wahrheit“ abzulegen. Um diese Frage geht es in Daniel Zipfels neuem Roman. Wie der erste Roman „Eine Handvoll Rosinen“ des in Wien lebenden Autors und studierten Juristen, geht es auch in diesem um Flüchtlinge und widerstreitende Interessen im Umgang mit ihnen. Schauplatz ist die Minoritenkirche und der nach ihr benannte Platz im Zentrum Wiens. Dort protestieren nach dem Tod eines Pakistaners Flüchtlinge gegen das geltende Asylgesetz.
Uwe Tinnermanns, Journalist eines Wiener Boulevardblattes, berichtet darüber. Es gelingt ihm ein Zufallsfoto einer jungen Frau mit Blut ihm Gesicht. Kurzerhand stilisiert er die Frau zur Symbolfigur des Widerstands. Das beschert den Protestierenden, dem Journalisten und seiner Zeitung Aufmerksamkeit. Für Veena Shahida, die vor dem Asylverfahren steht, wirkt sich diese Aufmerksamkeit kontraproduktiv aus. In seiner vielschichtigen Erzählung lässt der Autor die verschiedenen Zugehensweisen und Interessen von Presse, Justiz und den handelnden Personen aufeinanderprallen. Das ist spannend zu lesen, erfordert höchste Konzentration und zeigt deutlich auf, dass es immer um mehr geht als um die harten Fakten, aber auch um mehr als das, was heute oft so harmlos unter dem Titel Erzählung (Narrativ) daherkommt.
Daniel Zipfel: Die Wahrheit der anderen.
Kremayr & Scheriau, Wien 2020, 223 S., € 19,90. ISBN 9783218012072
Ein fiktives Dorf in einer dem Autor wohlbekannten ländlichen Region in Oberösterreich mit unterschiedlichsten Bewohnern und einer Reihe gröberer Probleme steht im Zentrum des Debütromans von Dominik Barta, der von der Literaturkritik ungewöhnlich ausführlich wahrgenommen wurde. Der Verlag bewirbt ihn als die Geschichte einer Frau um die 60, die sich zum ersten Mal erlaubt, krank zu werden und damit ihre ganze Familie aus dem Gleichgewicht bringt. Zusätzlich geht es noch um strukturelle Veränderungen in der Landwirtschaft, um Liebe und Untreue, um Flüchtlinge, um rechtsradikale Umtriebe, um ein auf der richtigen Seite stehendes Kloster und um einen 12-Jährigen, der so etwas wie der Held der Geschichte ist. Ganz gut beobachtet und erzählt, jedoch aufgrund der Themenfülle oftmals nur sehr grob skizziert, sodass vieles im Verhalten der Protagonist/innen sich als nicht wirklich nachzuvollziehen darstellt.
Dominik Barta: Vom Land. Zsolnay, Wien 2020, 163 S., € 18,50. ISBN 9783552059870
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